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Vorrede.

Vergleichen wir die Landkarte des weiland heiligen römi

schen Reichs mit der Karte des heutigen Deutschlands, so sehen wir ein Zusammenschrumpfen gegen die Mitte hin. Namentlich sind im Westen der Ursprung und theilweise der obere Lauf des Rheins, sowie seine Mündungsgebiete dem Hauptlande entzogen. Was zur Zeit der lezten Friedensschlüsse hier verabsäumt worden, darüber Klage zu führen, liegt zwar unvergeßlicher Grund vor; doch erheitert den vorwärts gerichteten Blick wieder die aufsteigende Bewegung, deren unser Vaterland nach so langer Trübsal sich seit fünfundzwanzig Jahren sichtlich erfreut. War dieselbe uns ungewohnt, so überraschte sie noch mehr unsere uns fremd und abhold gewordenen Vettern. Dieses Fremde und Abholde unter uns wieder abstreifen und ein inniges Verständniß anbahnen zu helfen, das ist ein Ziel,

welches auch dieser Schrift vorschwebt.

Ja, ob uns die politische Markscheide trenne, immer wohnen drüben Brüder, eines Blutes und einer Sprache mit uns, und wer könnte die schöne Hoffnung einer freien Wiedervereinigung mit ihnen für immer aufgeben? Hängt mit jenen Landen doch Deutschlands Geschichte seit Jahrtausenden durch Thaten und Kämpfe, durch Dichtung und Sagen zusammen. Dort ist der Ausgangspunkt der deutschen Litteratur, der oberdeutschen im Elsaß und der Schweiz, der niederdeutschen in Flandern und Brabant. Die Siegfriedssage im Nibelungenlied, die Örtlichkeiten in der Gudrun, das Ludwigslied, unser Thierepos, alles bedeutende Ältere, was wir besigen, versehen uns in jene niederländischen Gegenden, in denen frühzeitig derselbe geistige und poetische Aufschwung in den Klöstern sichtbar wird wie in der Schweiz, wo die Mönche sich der süddeutschen Sage an= nahmen.

Aber dieser Boden bildete von jeher auch den Hauptschauplaz des welthistorischen Kampfes zwischen Romanismus und Germanismus, und ist noch heute strittiges Gebiet. Hier erblicken wir am frühsten römische Kultur Hand in Hand mit der deutschen, hier auch ergreift unsere Dichtung zuerst gestaltend die Volkssage, hier erhielt diese schon den großen historischen Grundzug unserer ganzen Dichtung, das Wirkliche, der, wie ein verehrter Litterarhistoriker, der jezt Jour

nalist geworden, um sich der deutschen Politik zu widmen, sagt, ihr die höchste Ausbildung und Verirrung unmöglich machte." Ebenso sehen wir Jahrhunderte später, der mittelalterlichen Dichtungsblüte vorangehend, auf diesem Boden zuerst, schon im 12. Jahrhunderte, die französischen Trouveres sich mit Person, Sprache und Dichtung eindrängen und deutsche Sage und Lied von den französischen höftschen Dichtungen in Schatten stellen; dann auch, wie die deutsche Volkssprache im 13. und 14. Jahrhunderte einen glücklichen Rückbrang gegen die französische ausübt und ihren Sieg bis in's siebzehnte Jahrhundert behauptet. Endlich in neuester Zeit wiederholt sich noch einmal dasselbe große Schauspiel zwischen den beiden Nationalitäten, der Einströmung französischen Geistes folgt die Rückstauchung des deutschen Wesens.

Verschieden indeß haben sich Dinge und Verhältnisse in den germanischen Ländern unserer Westgrenze gestaltet.

Während durch alle Kämpfe die deutschen Hochlande sowohl als die Niederlande, obgleich bei mannigfachem Wechsel einbüßend, weil nie durch's ganze Reich recht unterstüßt, im Ganzen ihre Integrität glücklich behaupteten, ward das Gebiet zwischen Hoch- und Niederland, Elsaß und Lothringen, durch Frankreich allmählich von uns losge= riffen, zu einer Zeit wo Deuschland, erschöpft durch innern Kampf, um jede Bedingung den Frieden erkaufen zu

müssen schien. Vor den überrheinischen Brüdern hatten die Elsasser dann voraus, Theil eines großen compacten Ganzen zu sein; auch später mochten sie vieles Unliebliche eher ertragen als Preßfreiheit, Öffentlichkeit und Mündlichkeit des Rechtsverfahrens entbehren. Seit Bildung des Zollvereins jedoch, und seit auch die deutsche Staatsreform in allen Richtungen vorrückt, fällt die Vergleichung der Zustände beider Lande nicht mehr für's Elsaß günstig aus, und es scheint sich dort eine Umstimmung vorzubereiten. Daß Elsaß übrigens, trennen wir Volksleben und Staatsleben, im Kerne deutsch geblieben, dafür zeugen alle Merkmale; und bei der alemannischen Zähigkeit der Elsasser, bei dem Wiederaufleben ihres alten Ruhms in deutscher Dichtung, bei ihrer geringen Wahlverwandtschaft mit französischem Wesen ist noch keine tiefwurzelnde An= eignung desselben von ihnen zu fürchten.

Die Schweiz, die in ihren öffentlich tagenden Landsgemeinden und Tagefahrten noch an wesentliche Züge der altgermanischen Verfassung erinnert, hält nebenher uns auch das Zerrbild unserer alten und neuen Übelstände in republicanischem Hohlspiegel vor, und fast scheint sich die Verschiedenheit im Öffentlichen, im Religiösen und Sprachlichen dort noch zu steigern, gleichzeitig mit dem Aufleben eines stärkern Gemeingefühls und einer festern Anziehung. Der innere Kampf dieser kräftigen Stämme, deren

administrativer Einheit sich schon die Natur des Hochlandes zu widersetzen scheint, wird jedoch um so tragischer, je massenhafter und umfassender sich die Beziehungen der übrigen Staaten ausbilden. Möge die Schweiz, ein Bollwerk der europäischen Freiheit, ihre Unabhängig= keit vor allen fremden Einmischungs- und Theilungsgelüften bewahren! Möge Deutschland ihr dabei zur Seite stehn!!

Tapfer und frei, wie in den Alpen die Bauernge= meinden, erscheinen in Niederland die Städte. Flandern und Brabant waren durch freie Bürgerschaft früher blühend als das übrige Deutschland, in welches sie ihre überschüssige Bevölkerung als Ansiedler, die weithin Gewerbfleiß verbreiteten, schon im 12. und 13. Jahrhundert aussandten. Ja, in Belgien, wo der Anfang aller modernen nordischen Industrie, wo der mächtigste und dauerndste Zusammenstoß der Stämme war, ist auch die Hauptwiege der Kultur, der Kunst und Poesie in Nordeuropa zu suchen. Das Dunkel, das lange über diesen fast vergessenen Verhältnissen lag, weicht der neuen Forschung und ihren schon zu Tage geförderten Schäßen; vielleicht sind noch hellere Schlaglichter darauf durch weitere glückliche Funde litterarischer Denkmale zu gewärtigen, zu denen die neue Bewegung in Belgien nach langem, stumpfem Schlafe, der frischerwachte vaterländische For

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