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Menschheit zu reformieren. Die Gesellschaft ist verderbt, der Staat verrottet, sie können aber gebessert, ja, der Vollendung nahe gebracht werden, wenn nur die vernünftigen Grundsätze gesucht, und, wenn sie gefunden sind, angewendet werden. Macht den Staat moralisch! und die Gesellschaft kann gerettet werden.

Die Menschen glücklich zu machen ist das Ziel aller Sittlichkeit. Jeder einzelne hat die Pflicht, nach seinem Können an dieser Aufgabe mitzuarbeiten. Er ist zwar gezwungen, sich in die bestehende Ordnung zu schicken, selbst Leid und Verfolgung auf sich zu nehmen; es ist aber ebenso eine Aufgabe, geistigen Widerstand zu leisten und mit allen Kräften die Wiedergeburt der Menschheit zu fördern. Die Erfüllung dieser Pflicht ist dem,,private judgement" überlassen. Nicht der Staat mit seinen Gesetzen soll die Lebensführung des Individuums regeln, sondern die selbstherrliche Vernunft, die niemandem untertan ist als der Moral. Wenn sie unsere Führerin ist, werden einst Könige und Parlamente überflüssig. Die zukünftige Menschheit wird ohne Staat sein, da der einzelne sein eigener Gesetzgeber sein wird.

In dieser Lehre besteht die Summe der politischen Gerechtigkeit. Der Individualismus, der hier proklamiert wird, ist das Muttermal, das Godwins System aufgedrückt ist und die Kinder seines Geistes leicht erkennbar macht.

Es ist die feste Überzeugung des Philosophen, daß das Ideal, das ihm vorschwebt, zu erreichen ist. Lehre, Studium, Aufklärung führen zum Ziel. Der geistig-sittlichen Reform der einzelnen wird die des. Staates folgen. Der Fortschritt geht nicht über Leichen. Enthaltet vom Blut eure Hände! ist der immer wiederkehrende Refrain, der aus Godwins Buch in die Ohren fällt.

Solange indes die Menschen nicht reif sind, ohne öffentliche Institutionen zu leben, mögen sie Verbände kleiner Republiken bilden, deren Behörden aus Juries und einer Nationalversammlung bestehen. Die Rechtsprechung, die den Juries obliegt, ergeht nicht auf Grund geschriebener Gesetze; der gesunde Menschenverstand allein entscheidet. Die Nationalversammlung schlichtet Streitigkeiten der republikanischen Distrikte untereinander und ergreift Maßregeln gegen einen etwaigen Angriffskrieg der Nachbarn. Je mehr aber die Demokratisierung der Staaten fortschreitet, werden die Kriege, die jetzt eine Geißel der Menschheit sind, aufhören.

Der Eckstein der Godwinschen Philosophie ist das,,private judgement", das sich in allen Beziehungen des Lebens Geltung verschaffen muß. Der Verfasser von PJ fordert daher Rede- und Preßfreiheit und freie Ehe. Mit dem Grundsatz des „private judgement" verträgt sich auch die möglichste Gleichheit des Besitzes. Der Philosoph will Kommunismus und Individualismus vereinigen. Die Gleichheit, die er befürwortet, wird infolge ernster Überzeugungen aller Staatsbürger eintreten; Eigenbesitz soll bleiben, indem aber jeder dem andern gibt, was ihm not tut, stellt sie sich von selbst ein. Kollektivarbeit ist verpönt. Der Luxus, an dem alle Anteil haben, ist erlaubt. Godwins Staat ist nicht ein Staat stoischer Enthaltsamkeit, auch nicht ein Staat spartanischer Bildungsfeindlichkeit, in ihm ist für Kunst und Wissenschaft Raum.

Wenn einst die Gesellschaft alle äußeren Gewalten aufheben wird, erreicht die Menschheit ihre Vollendung. Für die höchste Vervollkommnung und Entfaltung der Persönlichkeit ist nun erst Platz geschaffen. Ein Volk von Philosophen wird entstehen, die Vernunft wird allmächtig werden. Der Mensch wird

immer mehr lernen, sich die Elemente des Weltalls dienstbar zu machen und seinen Körper zu beherrschen, so daß er der Unsterblichkeit nahekommen wird. Mit diesem für den Geist des Verfassers charakteristischen Ausblick gibt Godwin seiner Staatslehre einen hypothetischen Abschluß.

I. Wie Shelley zu Godwin kam.

1. Shelleys Lektüre von Political Justice. Shelley war ein eifriger Leser von PJ. Er selbst behauptet, daß er schon in Eton die erste Bekanntschaft mit Godwins Buch gemacht habe (Brief an Godwin vom 10. Januar 1812). Am 19. November 1810 bestellt er es bei seinem Buchhändler Stockdale. In London 1811 liest er, wie Medwin berichtet, wiederum PJ und den Enquirer. Während seines Aufenthalts in Irland 1812 setzt er seine Studien in Godwins Hauptwerk fort (Brief an Godwin vom 8. März 1812). Wie sich aus dem von Mary geführten Tagebuch ergibt, nimmt es der Dichter 1814 von neuem zur Hand, und noch in den Jahren 1816 und 1817 wird es in den Listen dieses Tagebuches, welche die von Shelley gelesenen Bücher enthalten, aufgeführt.

Der Dichter hat PJ nicht nur einmal gelesen, sondern es hat ihn dauernd beschäftigt; nicht nur der junge Reformer, auch der reifende Dichter hat den Eindruck dieses Buches erfahren.

2. Die persönliche Bekanntschaft beider Männer und Shelleys Verbindung mit Mary, der Tochter des Philosophen.

Shelley weiß bis Ende 1811 nicht, daß der Verfasser des Werkes, das er mit so großer Begeisterung

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gelesen hatte, noch am Leben sei. Er rechnet ihn. zu den verehrungswürdigen Toten" (Brief an Godwin. vom 3. Januar 1812). Als er aber erfährt, daß Godwin noch lebe, schreibt er an ihn überschwängliche Briefe, die der Philosoph freundlich beantwortet. Shelley schätzt sich glücklich, „den Strom Godwinschen Geistes an seiner Quelle" trinken zu können (Brief an Godwin vom 28. Januar 1812). Im Oktober 1812 macht er die persönliche Bekanntschaft mit dem Verfasser von PJ. Shelley bleibt von nun an in einer Godwinschen Sphäre. 1814 wird Mary, die Tochter des Philosophen, seine Lebensgefährtin. Sie ist eine eifrige Schülerin des Vaters, dessen Hauptwerk sie fleißig studiert; fast täglich erscheint in ihrem Tagebuch Ende 1814 die stereotype Bemerkung,,Read PJ"; und sie stimmt mit Shelley in ihrer Bewunderung für Godwins Philosophie überein.

3. Shelleys Begeisterung für die Godwinschen. Ideen und die Bekenntnisse seiner Schüler

schaft.

Die an Godwin 1812 gerichteten Briefe enthalten einen so großen Überschwang der Gefühle unseres Dichters, daß man ihren Bekenntnissen mißtrauisch gegenübersteht. Die Ehrlichkeit seiner Beredsamkeit kann indes nicht bezweifelt werden, wenn Shelley seine Schülerschaft auch dritten gegenüber hervorhebt, wenn er sie im reiferen Alter wiederholt, und wenn er trotz aller Verstimmungen über Godwins persönliches Verhalten die Hochachtung vor dem Genius des Philosophen bekennt. Shelley wandte sich, älter werdend, von der Aufklärungsliteratur mehr und mehr ab; in der Hochschätzung von PJ ist er nie wankend geworden.

In seinem Einführungsbriefe sagt er, Godwins Name pflegte in ihm ,,Gefühle der Ehrerbietung und Bewunderung zu wecken. Er nennt sich den Schüler des Philosophen: „I constitute myself the pupil of him under whose actual guidance my very thoughts have hitherto been arranged" (Brief an Godwin vom 16. Januar 1812). Als Shelley 1813 Field Place besucht, bekennt er dem Offizier Kennedy, daß er Godwin alles verdanke,,,from whose book PJ, he had derived all that was valuable in knowledge and virtue". In der Zeit des Zerwürfnisses mit dem Philosophen gesteht er die Abhängigkeit von seinem Meister von neuem. Er sei es, der noch immer bis zu einem sehr hohen Grade sein Denken bestimme" (Brief an Godwin vom 3. Mai 1816). Godwin sei durch seine Werke ein Wohltäter der Menschheit, und er schätze sich glücklich zu der Gemeinschaft der Geister zu gehören, denen seine Schriften gegenwärtig seien (Brief an Godwin vom 7. Dezember 1817). Der Dichter gesteht, daß mit zunehmendem Alter nur seine Bewunderung zunehme für Godwins Größe und selbst für die Grundlagen seines Charakters (Brief an Mr. Gisborne vom 26. Mai 1820). Als Shelley aber am 1. Juli 1820 seine poetischen Grüße an die Freunde in England in einem Briefe an Mrs. Gisborne übermittelt, nennt er wohl den Philosophen an erster Stelle,

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doch kann er zugleich seine Klagen über den im Leben seinen Lehren untreu gewordenen nicht zurückhalten.

An die privaten Äußerungen in Unterhaltung und Briefen reihen sich Bekenntnisse in Shelleys Schriften, die der gleichen Bewunderung für Godwins Ideen Ausdruck geben. In den Proposals 1812 zählt er die Denker auf, die sich um den Fortschritt der Kultur vor und

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