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Sechstes Kapitel. Von Heinrich v. Gagern etc.

die den Wunsch Pfizers und seiner Gesinnungsgenossen erfüllten, das Sonderleben und die Mannigfaltigkeit auch in der Einheit zu schützen. Die preußischen Konservativen konnten den Dynastien und Stämmen außerhalb der schwarzweißen Grenzpfähle deswegen geben, was ihnen gebührte, weil sie selbst aus eigener Lebenserfahrung wußten, was Dynastie und Stamm in Deutschland bedeutet, das kräftige preußische Sondertum hat sich schließlich als eine Garantie auch für das Sondertum der übrigen Stämme erwiesen.

Siebentes Kapitel.

Fortentwicklung des preufsisch-deutschen

Problems.

Haben wir damit nun aber das Problem unserer Untersuchung ganz erledigt? Wir haben die Voraussetzungen sowohl der Gedanken von 1848 wie von 1866 entwickelt, und eine Erfahrung von vier Jahrzehnten hat die geschichtliche Lebensfähigkeit der Bismarckschen Lösung erwiesen. Und doch wird man, ohne ihren politischen Wert schmälern zu wollen, gleich hinzusetzen müssen, daß an sich der durch ihn geschaffene Zustand nicht schlechthin ideal ist. Jene Treitschkesche Befürchtung vor einem Übermaß an parlamentarischem Treiben ist doch bestätigt worden. Unzweifelhaft liegt hier einer der Gründe, weshalb das Niveau und das Ansehen des Parlamentarismus in Deutschland gesunken ist. Sollte nicht am Ende Bismarck auch das vorausgesehen haben? Bis zu einem gewissen Grade mußte ja der Parlamenta rismus eingeschrankt werden, wie wir sahen. Aber sollte. Bismarck nicht auch eine weitere Minderung parlamentarischer Macht in Deutschland noch über dies Maß des Notwendigen hinaus ganz gern gesehen haben? Eben das befürchtete man nach den Siegen von 1866 im preußischen Abgeordnetenhause, als die ersten Grundzüge des neuen Zustandes an das Licht traten. Virchow meinte am 11. September 1): Eine geschickte Regierung wird

1) Stenogr. Bericht (1866/67) 1, 288.

mmer in der Lage sein, ein gegenseitiges Hin- und Herdrängen der Gewalten, eine gegenseitige Abschwächung der parlamentarischen Körper herbeizuführen.<< Ihm schloß sich der politisch gemäßigtere Twesten am folgenden Tage an. Er besorgte als Folge des Nebeneinanders deutscher und preußischer Volksvertretung einen » Cäsarismus der Regierungsgewalt, welcher sich über die durcheinanderlaufenden Beschlüsse und Kompetenzen zweier parlamentarischer Versammlungen mit großer Leichtigkeit würde hinwegsetzen können«,1) Das war eine Besorgnis, die der Situation und dem Gedankenkreise von 1848 noch ferngelegen hatte. Damals kannte man in der Hauptsache nur die Extreme Absolutismus und Parlamentarismus und wollte wohl Kautelen schaffen gegen die Reibung zweier parlamentarisch regierter Staatswesen, dachte aber noch nicht an die Möglichkeit eines modernen cäsaristischen Regierungssystems in Deutschland, an die Möglichkeit, daß eine starke Monarchie auch die liberalen und nationalen Gedanken als Machtmittel werde ausbeuten und mit demokratischen und parlamentarischen Institutionen ihr Spiel treiben könne. Inzwischen aber hatte Napoleon III. gezeigt, das dies möglich war, und Bismarck traute man zu, daß er auf seinen Spuren wandle. Diese Liberalen von 1866 waren ja nicht die ersten, welche Bismarck im Verdacht des Bonapartismus hatten. Zweifelsohne war er nicht so ganz unbegründet. Bismarck hat, wie man weiß, von vornherein ein merkwürdiges Interesse für Napoleon III. gehabt, in erster Linie ja, weil er ihn als Stein im Schachbrett seiner äußeren Politik brauchte. Sein Griff nach dem allgemeinen gleichen Wahlrecht eine Übersetzung des suffrage universel ins Hinterpommersche, wie man witzelte aber zeigt schon, daß er auch in den Maximen innerer Politik

1) Stenogr. Bericht S. 322.

von ihm lernen konnte. 1) Wenn er nun eben das Parlament des norddeutschen Bundes auf das demokratische Wahlrecht gründen wollte, so hat das die Besorgnisse des preußischen Abgeordnetenhauses vom Herbste 1866 nicht etwa gemindert, sondern eher gesteigert. Aus Mißtrauen gegen das, was er mit dem neuen demokratisch gewählten Parlamente vorhabe, setzte man es durch, daß diesem nur die Beratung der Bundesverfassung zugewiesen wurde, behielt man dem preußischen Abgeordnetenhause die endgültige Beschlußfassung über die Arbeit des Bundesparlamentes vor. 2)

Man hat nicht viel erreicht damit, und Bismarck hat sein Spiel schließlich durchgesetzt. Vielleicht ist doch dies Regieren mit zwei Parlamenten, dies Reiten bald auf dem deutschen, bald auf dem preußischen Pferde ein verstecktes arcanum imperii Bismarcks gewesen. 3) Er

1) Unruh, Erinnerungen S. 273, polemisiert gegen den Verdacht, da Bismarck das Verfahren Napoleons III. habe nachahmen wollen, und beruft sich auf eine damalige Äußerung Bismarcks, daß von solchen Wahlkünsten, wie in Frankreich, in Deutschland keine Rede sein könne, › das ließen sich die Deutschen nicht gefallen. Das mag er nicht nur gesagt, sondern auch gedacht haben. Aber der Gedanke, Macht und Masse in unmittelbare Beziehung zu setzen, hat unzweifelhaft einen cäsaristischen Zug. Die Wahlkünste Napoleons III. konnte er entbehren, weil er auf die monarchische Gesinnung der Massen und auf den sozialen Einfluß der Großgrundbesitzer auf das Landvolk vertraute (vgl. Lenz, Bismarck S. 332; Oncken, Lassalle S. 346 u. 352). Er hat damals das demokratische Wahlrecht gerade auch um der erhofften undemokratischen Resultate willen vor dem Dreiklassenwahlrecht bevorzugt. Vgl. auch die oft angeführte Stelle aus seiner Depesche an Bernstorff vom 19. April 1866 (Sybel 4, 318). Interessant ist in diesem Zusammenhange, daß Napoleon III. schon Ende 1861 der preußischen Regierung die Einführung des suffrage universel empfohlen hat, bei dem die konservative Landbevölkerung die Liberalen in den Städten niederstimmen könne. Ringhoffer, Im Kampfe für Preußens Ehre S. 456. *) Sybel, 5, 438 ff.

3) Es ist ja möglich, daß vorübergehend auch er an eine Vereinfachung des parlamentarischen Doppelapparates gedacht hat. Vgl.

hat zuerst, in Erinnerung an die preußische Konfliktszeit, gehofft, mit dem deutschen Winde weiter zu kommen als mit dem preußischen, er hat das preußische Dreiklassenwahlrecht am 28. März 1867 als das elendeste aller Wahlsysteme gescholten und mit den Erwählten des allgemeinen Wahlrechts im Reichstage auch lange erfolgreich arbeiten können. Aber er hat auch keine ernstliche Miene gemacht, das Wahlrecht beider Parlamente auszugleichen1) und hat schließlich auch dabei seine Rechnung gefunden, als er den Kurs seiner inneren Politik wendete und er das Abgeordnetenhaus nun gegen den minder gefügigen Reichstag brauchen konnte. Doch genug dieser Hinweise, die eine besondere eingehende Untersuchung verlangen.

Also er hat damit regieren können, auch seine Nachfolger konnten es und dachten ebenfalls nicht daran, auch nur den klaffenden Zwiespalt zwischen dem Wahlrecht des preußischen Abgeordnetenhauses und und des deutschen Reichstages auszugleichen. Es fragt sich nur, ob dieser Zustand für die Regierten immer ebenso erwünscht war, wie für die Regierenden. Hier liegt ein noch ungelöster Rest unseres Problems. Die unmittelbaren Friktionen zwischen preußischem und deutschem Parlament sind zwar dank jenen genialen Sicherungen, die Bismarck angebracht hat, leidlich ausgeschaltet, und über beiden konnte nun, als die dritte und stärkste

seine Rede vom 28. Jan. 1869: >Es hat der Königl. Regierung und den Bundesbehörden ja von Anfang an nahe gelegen, auf eine Vereinfachung des seit 1866 geschaffenen Räderwerkes hinzuwirken, und die Frage, auf welche Weise dies zu geschehen habe, auf welche Weise dies möglich sei, hat uns vielfach auch vor dieser heutigen Anregung beschäftigt. Aber entscheidend ist, daß er diesen Gedanken nicht weiter verfolgt hat.

1) Seiner Rede vom 28. Januar 1869, in der er die Aussicht auf die Reform des preußischen Wahlrechts eröffnete, hat er keine Taten folgen lassen.

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