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strakten Standpunktes, von dem aus er sein Thema behandelt, ist es doch kein Zweifel 1), daß er Deutschland im Auge hat, da er vorzugsweise den aus Monarchien zusammengesetzten Bundesstaat erörtert. Drei merkwürdige Forderungen stellte er für diesen. Erstens, est sei >>wo nicht erforderlich, doch wünschenswert«<, daß die Staaten, welche sich einer gemeinschaftlichen Oberstaatsgewalt unterwerfen, an Größe und Macht nicht zu sehr unter sich verschieden seien, weil, das ist sein. Hauptgrund, »der oder die Mächtigsten dann leicht so großen Einfluß und Übergewicht erhalten, daß die andern Genossen sich unterdrückt fühlen oder glauben, daß ihre Interessen denen der Größeren aufgeopfert werden«. Zweitens, daß der erbliche Monarch, in dessen Hand die Oberstaatsgewalt zu legen sei, nicht zugleich Regent eines besonderen Territoriums sein dürfe, »>denn er darf kein Sonderinteresse haben, auch mit dem Regenten der Territorien in keiner Beziehung gleichstehen«. Und drittens: Im Bundesstaate sei vor allem dafür zu sorgen, daß zwischen Reichs- und Landständen kein Antagonismus entstehe, denn dieser würde die Regierung sehr erschweren und die Eintracht gefährden«.

Man sieht auf den ersten Blick hier eine Verwandtschaft mit dem Gedanken Pfizers von 1831 und 1832, die vielleicht auf unmittelbarer Einwirkung beruht. Beide erfüllt die bange Sorge vor einem Übergewichte des mächtigsten Staates, beide verlangen von dem Herrscher des Gesamtstaates, daß er aufgehe in dessen Gesamtinteresse, und die Befürchtung Pfizers vor einem Dareinreden der preußischen Reichsstände in die deutschen Dinge wird von Gagern verallgemeinert zu einer Warnung vor einer Einmischung der Landstände überhaupt. Was Pfizer lebhaft und impulsiv empfindet, wird von

1) Wie auch Brie a. a. O. S. 57 urteilt; vgl. auch Jastrow, Geschichte des deutschen Einheitstraumes. 3. Aufl. S. 138.

Meinecke, Weltbürgertum und Nationalstaat.

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Gagern umgesetzt in Formeln und Paragraphen eines Systems. So künden sich bei ihm schon die Grundzüge jener von Waitz dann ausgebildeten Bundesstaatstheorie an, wonach Zentralgewalt und Einzelstaatsgewalten streng zu trennen seien, damit eine jede in ihrer eigentümlichen Sphäre ungestört lebe.

Gagern formuliert nun aber auch deswegen so scharf seine Sätze, weil sein Staatsideal überhaupt einen schärferen unitarischen Zug hat als das Pfizers. Dieser wünschte Einheit und Mannigfaltigkeit, Kraft im Ganzen und freiere Bewegung in den einzelnen Gliedern zugleich, damit >> die Lebenssäfte der Nation gleichmäßig durch alle Venen und Arterien des großen Bundesstaatskörpers fließen«<, und die Despotie eines einzelnen Herrschers über das Ganze betrachtete er doch nur als Not- und Übergangszustand. Gagern dagegen war von Hause aus Unitarier von naiv-burschenschaftlicher Farbe, wandelte sich zwar durch reifere Erfahrung zum Föderalisten um, aber ohne seinen Ausgangspunkt ganz zu verleugnen.1) Die Bedürfnisse der Gesamtstaatsgewalt interessierten ihn ohne Frage erheblich stärker als die der Einzelstaatsgewalten. Wer aber sollte sie nach seiner Meinung in Deutschland übernehmen? Brie meint: Es läßt sich nicht annehmen, daß er seiner schon im Jahre 1823 ausgesprochenen Überzeugung von dem Berufe Preußens, Deutschland zu einigen, jemals untreu geworden sei. «2) Auch wir halten das für höchst unwahrscheinlich. Auf der anderen Seite aber scheint es«, um wieder mit Brie zu sprechen, daß er überhaupt zweifelte, ob ein so großer Einzelstaat in einen wahren Bundesstaat sich einordnen lasse. Denn wie soll

1) Vgl. Brie S. 54 ff.

2) Die von ihm nach Gagern 1, 316 zitierte Äußerung F. v. Gagerns darüber aus späterer Zeit‹ stammt freilich nicht, wie H. v. Gagern behauptete, aus der Zeit kurz vor 1848, sondern steht in seiner Denkschrift von 1823, a, a. O. S. 285.

man sich etwa die Stellung des mächtigen Königs von Preußen neben einem Kaiser, der doch nach seiner Forderung nicht Regent eines Einzelstaates sein sollte, denken? Brie hat diese Unklarheiten nicht aufzuhellen vermocht. Sie klären sich mit einem Schlage, wenn wir annehmen, daß Gagern allerdings den König von Preußen zum Kaiser des Bundesstaates machen, zugleich ihn aber loslösen wollte von seiner unmittelbaren preußischen Basis und Preußen auflösen in eine Reihe ungefähr gleich großer Territorien, so daß dann, um mit seinen eigenen Worten zu sprechen, jedes Territorium für sich einen, einer zweckmäßigen administrativen Einteilung des ganzen Bundesstaates entsprechenden Verwaltungsbezirk bilden

Ohne diese Lösung würde seine Gesamtstaatsgewalt ein leeres Abstraktum sein, würde ihr Ansehen und Stabilität gegenüber den Monarchen der einzelnen Landschaften fehlen, die Gagern mit Recht von ihr verlangte, würde seine Denkschrift eine leere Spekulation ohne praktisches Ziel bleiben. Wir werden bald sehen, wie diese Idee, die wir hier nur durch Vermutung erschließen konnten, in dem Programme eines geistesververwandten Politikers zum unzweideutigen Ausdrucke kam.

Zweites Kapitel.

Das preussisch-deutsche Problem vom März bis zum September 1848.

Die deutsche Revolution von 1848 ist, wie man weiß, ein Komplex verschiedener und verschiedenartiger Revolutionen, die zum Teil ihr Ziel erreicht haben, zum Teil aber noch heute ungelöste Probleme hinterlassen haben. Uns soll hier nur das eine Problem beschäftigen, das seitdem wirklich gelöst ist oder doch zu sein scheint das Problem der Stellung Preußens im nationalen Bundesstaate unter preußisch-hohenzollernscher Führung.

Es gehört zu den größten und fruchtbarsten Wirkungen der Märzereignisse, daß die bisherige Scheidewand zwischen dem preußischen Staate und dem übrigen Deutschland um ein ganz wesentliches Stück verkürzt wurde, daß es mit der reinen preußischen Selbstgenügsamkeit unwiederbringlich dahin war. Aber damit ergaben sich nun Aufgaben, die durch die Losung, daß Preußen an Deutschlands Spitze gehöre, nicht beantwortet, sondern vielmehr erst gestellt wurden. Und wenn das eine große Hindernis der nationalen Vereinigung Preußens mit Deutschland, sein absolutistisches Regierungssystem, jetzt auch fiel durch den Übergang zum Konstitutionalismus, so erwuchs eben daraus, wie wir sahen, ein neues, noch komplizierteres Hindernis, ein circulus.

vitiosus beinahe. Preußen sollte und mußte, um sich mit Deutschland innerlich auszugleichen und es führen zu können, konstitutionell werden, aber richtete dann gleichzeitig durch sein konstitutionelles Eigenleben neue Schranken gegen das übrige Deutschland auf.

Ob die Führer der nationalen Bewegung in Südwestdeutschland, die im Februar und März 1848 ihre Blicke auf Preußen richteten, diese Schwierigkeit schon begriffen haben? Die Schriften Pfizers wurden viel gelesen, und die Gedanken Friedrich v. Gagerns sind zum mindesten seinen Brüdern Heinrich und Max, die in diesen Wochen an der Spitze jener Bewegung mitstanden, bekannt geworden.1) Heinrich v. Gagern, der am 6. März 1848 zum leitenden Minister Hessen-Darmstadts berufen wurde, und in noch höherem Grade als er 2) sein Bruder Max, der in nassauischen Diensten stand, waren die Seele der Verhandlungen über eine Reform der Bundesverfassung, die seit dem 7. März zuerst zwischen den süddeutschen Regierungen, dann zwischen diesen und der preußischen Regierung gepflogen wurden. Wir müssen es uns in diesem Zusammenhange versagen, die immer noch fragmentarische Kunde, die man von ihnen hat, aufzuhellen und uns auf die Frage beschränken, ob in ihnen bereits die Forderung laut geworden ist, daß Preußen als Preis für seine Hegemonie über den deutschen Bundesstaat auf seine eigene konstitutionelle Landesvertretung verzichten müsse. Offiziell ist sie jedenfalls, nach unserem bisherigen Wissen nicht erhoben worden, aber man darf dabei nicht übersehen, daß die nächste Aufgabe dieser süddeutschen Regierungen und Staatsmänner ja gerade die war, Preußen in die Bahnen.

1) Vgl. Hiemenz, H. v. Gagern, Zeitschr. f. d. ges. Staatswissenschaften 55, 532.

*) Vgl. H. v. Gagerns Rede v. 20. März 1849, Stenogr. Bericht der Frankfurter Nationalversammlung S. 5883 f.

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