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Zweites Buch.

Der preussische Nationalstaat und der deutsche Nationalstaat.

Erstes Kapitel.

Anfänge des preussisch-deutschen Problems; von Moser zu Friedrich v. Gagern.

Die im ersten Buche behandelte Frage führt unmittelbar hinüber zu einem zweiten großen Problem der Entstehungsgeschichte des deutschen Nationalstaats, das wir schon hier und da streiften, jetzt aber näher ins Auge fassen müssen.

Wie behauptete sich, darauf lief unsere erste Untersuchung hinaus, die Idee der autonomen Staatspersönlichkeit in Deutschland inmitten der Flut von neuen Ideen und Bedürfnissen, die seit dem Ende des 18. Jahrhunderts aus der Tiefe des nationalen Lebens emporstiegen und Einlaß begehrten in den Staat, insbesondere in den preußischen Staat. Er konnte ihnen den Einlaß weder ganz wehren, noch ganz öffnen. Er brauchte sie, um sich zu regenerieren, um sich mit neuen geistigen Kräften zu erfüllen war doch die Invasion dieser Ideen im Zeitalter der preußischen Erhebung zugleich auch eine Invasion der starken Individuen in den Staat, er konnte in seiner damaligen Not nicht nur die nationalen, sondern auch die universalen Bestandteile dieser Ideen gebrauchen, mußte dann freilich darauf bedacht sein, diese letzteren beizeiten wieder auszuscheiden, weil sie seine Autonomie schwächten. Die ersteren aber, die nationalen, durfte er, so deuteten wir an, behalten und pflegen, mit ihrer Hülfe konnte er zum autonomen deutschen Nationalstaat

sich erheben. Jetzt gilt es, diese Meinung einzuschränken und auch die nationalen Ideen auf ihre Brauchbarkeit für den preußischen Staat zu prüfen und ob sie vereinbar waren mit seiner Autonomie und Persönlichkeit. Ja und nein zugleich, wird die Antwort sein. Ja, antwortet der geschichtliche Verlauf der Dinge im großen; das Nein zu begründen, bedarf es einer eingehenderen Untersuchung.

Die nationale und nationalstaatliche Idee in Deutschland war ja, selbst abgesehen von ihren ursprünglichen universalistischen Begleitideen, in sich nichts weniger als eindeutig. Sie konnte, um hier nur das für uns Wichtigste zu wiederholen, erwachsen sowohl auf dem Boden des deutschen Einzelstaates, wie auf dem Boden der deutschen Kulturnation, die ihre alte politische Einheit wieder gewinnen und jetzt erst recht begründen wollte. Schon das allein konnte zu Streit und Gegensatz führen zwischen der preußischen Staatsnation und der deutschen Kulturnation, die deutsche Staatsnation werden wollte. In jener selben Schrift Friedrich Karl von Mosers vom deutschen Nationalgeist, die wir an den Eingang unserer ersten Untersuchung stellten, taucht dieser Gegensatz schon auf. Er fand seinen deutschen Nationalgeist schwer bedroht durch die » Mißgeburt einer militarisch-patriotischen Regierungsform«, durch das neue militarische Staatsrecht, das, so drückte er sich reichsrechtlich korrekt aus, in den ober- und niedersächsischen Landen jetzt aufgekommen sei.1) Er klagte über den brandenburgischen Edelmann, der den Hut in die Stirne drücke und von gar keinem deutschen Vaterlande mehr wissen wolle.2) Vom Standpunkte der deutschen Gesamtnation aus konnte dann der preußische Staat, wie wir hier schon

1) S. 53. 2) S. 21.

sehen, gar nicht als echter Nationalstaat erscheinen, oder um es paradox zu sagen, je nationaler, je geschlossener er tatsächlich in sich war, um so unnationaler konnte er die übrigen Deutschen anmuten, um so herzlicher konnten sie ihn wegwünschen. Wie kann es, fragte Fichte im Frühjahr 1813,1) überhaupt zu einem Volke in seinem Begriffe kommen? Griechenland, meinte er, wurde es ebensowenig wie Deutschland. Was hinderte Griechenland? › Antwort: der schon zu feste Einzelstaat. Wenn etwa,

so warf er sich ein andermal in diesen Betrachtungen ein,2) Österreich oder Preußen Deutschland eroberte, warum gäbe das nur Österreicher, Preußen, keine Deutsche ? Wir erinnern uns, daß er die Nationalität des deutschen Einzelstaates für eine niedere, sinnliche Form der Nationalität hielt und sie nur sekundär gelten lassen oder gar ganz ausrotten wollte, damit nur die Deutschheit übrig bliebe. 3) Als Zwingherrn zur Deutschheit aber ersah er sich zugleich keinen anderen aus, als eben den Herrscher des preußischen Einzelstaates. So sind in seinen skizzenhaften Sätzen schon alle Elemente des Gedankens vorhanden, das Dilemma zwischen dem schon zu festen. Einzelstaate und dem Einheitspostulate der deutschen Nation dadurch zu lösen, daß der Herrscher des preußischen Einzelstaates selbst Mittel zum Zweck der neuen Deutschheit wird und seinen alten Staat und dessen spezifische Nationalität aufgehen läßt in ihr.

ist die Konsequenz, die sich aus seinen Prämissen notwendig ergibt. An der Geschichte dieses Gedankens werden wir sehen, daß es sich hier um ein ganz zentrales Problem der deutschen Einheitsbewegung handelt, und bewundern den Tiefblick des großen Philosophen, der seinen Grundsätzen nach ein un- und überpolitischer

1) Werke 7, 549.

9) 7, 570.

$) S. oben S. 93, 115.

Meinecke, Weltburgertum und Nationalstaat.

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