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Abschnitt I.

Geschichte der Theorie des Epigramms von Scaliger bis zu Wernicke.

Zunächst müssen wir einen Blick auf die Theorie des Epigramms zu Wernickes Zeit werfen, denn er war nicht nur Dichter, sondern hatte sich auch eine klare Ansicht von dieser Gattung ausgebildet, was uns bei einem so kühlen, scharfen Kopfe und einem so peinlich bewussten Schaffen nicht Wunder nimmt. Später gilt es, aus seinen Ausserungen, wie sie in den Vorreden und als wirklich zerstreute Anmerkungen über das Epigramm" aphoristisch in der Ausgabe letzter Hand sich finden, eine Theorie zu konstruieren.

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In seiner Poetik, deren Einfluss alle deutschen Lehrbücher mehr oder weniger verraten, stellt Julius Cäsar Scaliger im dritten Teil (Idea, cap. 126) das Problem, warum nur den kurzen Gedichten der Name epigramma eigne. Nur in der Form vorsichtiger Fragen gibt er Auskunft. Etwa, sagt er, grade wegen der Kürze, weil die Gedichtchen nichts sind als blosse Aufschriften, oder weil die auf Statuen, Trophäen, Bilder gesetzten Lobverse zuerst im eigentlichen Sinne Epigramme hiessen? Treffend bemerkt Lessing hierzu, dass beide Antworten unbefriedigend sind. Denn im ersteren Falle sind eben alle kurzen Gedichte Epigramme; das macht allen Unterricht überflüssig. Dann gilt wirklich der Ausspruch des Grafen d'Orgaz, den auch Wernicke anführt: Tengo por

necio, al que no sabe hazer una copla; y por loco, al que haze dos. Im zweiten Fall jedoch wird nichts gesagt, was nicht schon in der Frage enthalten ist. Als bekannt wird doch vorausgesetzt, dass die ersten kleinen Gedichte auf Denkmälern Epigramme hiessen, aber deshalb weiss man nicht, warum dieser Name nun auch den Gedichten gehören soll, die sich durchaus nicht für Denkmäler eignen. Scaliger unterscheidet bloss die einfache indicatio und das zusammengesetzte Epigramm, das aus einem propositum etwas Scharfsinniges ableite. Nach Lessings Theorie ist diese Unterscheidung sinnlos, da Scaliger übersehe, daß bei dem einfachen Epigramm eben das beschriebene Werk selber die Stelle der,,Vorausschickung" vertrete, und so beide Gattungen eins seien. Scaliger definiert: Epigramma igitur est poema breve cum simplici cujuspiam rei vel personae vel facti indicatione, aut ex propositis aliquid deducens. Er bemüht sich dann, neue divisiones zu finden und bietet dazu den ganzen Apparat und die Schemata veralteter Gelehrsamkeit auf. Neben dem Geständnis: tot genera, quot rerum, versucht er eine Einteilung in genus 1. apologeticum, 2. suasorium, 3. laudis et vituperationis. In der Appendix pro Epigrammate sagt er endlich bescheiden: genera igitur Epigrammatum indefinita propter materiae diversitates tentavimus ad pauca reducere: ut praeter altiloquum, humile, medium habeat proprias ideas. Schärfer und besser als dieser Versuch, der die eigene Unsicherheit aufdeckt, ist seine Formulierung der beideu Haupteigenschaften, brevitas et argutia. Das Beispiel Martials bewahrt ihn vor dem Gebot der nur in wenigen Zeilen bestehenden Kürze, dem wir noch allzu oft begegnen werden. Die argutia aber ist ihm unerlässlich als Seele und Gestalt des Epigramms. Erreicht wird sie durch einen unerwarteten oder der Erwartung entgegengesetzten Schluß. Das propositum und die conclusio, die wieder nach bewährtem Schema aut maius aut minus aut aequale aut diversum aut contrarium aus dem Vorwurf ableitet, sind die not

wendigen Teile des zusammengesetzten Epigramms. Durch den Schluss wird entweder Gelächter oder Verwunderung hervorgerufen. Eben die Mannigfaltigkeit der Stoffe lässt den Registrator hier frei bleiben von seiner sonstigen starren Selbstgerechtigkeit und gewährt einen ziemlich weiten Spielraum1). Auch gegen die amatoria, die er dem genus suasorium zuteilt, ist er duldsam: decet esse candida, culta, tersa, mollia, affectuum plena, und interdum arguta in fine, interdum deficientia et mutila. Auch eine öde Spielart des Epigramms, das Echo, wird erwähnt.

Zum Teil ist es einfache Übersetzung aus Scaliger, was Martin Opitz zum Epigramm beiträgt. Mit einem Widerspruch gegen die eigene Definition beginnt er seinen dürftigen Abschnitt im Buch von der deutschen Poeterey (Neudruck S. 23): „das Epigramma setze ich darumb zue der Satyra, weil die Satyra ein lang Epigramma, und das Epigramma eine kurtze Satyra ist," um dann mit wörtlicher Entlehnung aus Scaliger fortzufahren: „denn die kürtze ist seine eigenschafft, und die spitzfindigkeit gleichsam seine Seele und gestalt." Trotzdem redet er dem billigen Wortspiel zuliebe von langem Epigramma “. Die spitzfindigkeit" findet sich besonders im Schluss, der stets unserm Erwarten entgegen ausfällt: „, in welchem auch die spitzfindigkeit vornemlich bestehet." Auch bei

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Opitz ist der Stoffkreis unbegrenzt, doch möchte er die Personalsatire, spöttliche hönerey und auffruck anderer leute laster und gebrechen", vermieden sehen. Denn jeden ohne Unterschied „anzulauffen“, dünkt ihn bestialisch. In der lateinischen Einleitung zum Florilegium gibt er eine erfreuliche Ergänzung dieser fadenscheinigen Definition. Er preist das Epigramm wegen seiner scherzenden Anmat, Kürze, scharfen Pointierung, Geistfülle, wodurch es

1) Epigrammatum genera tot sunt, quot rerum: tot versuum generibus explicantur, quot sunt versuum genera: tot verbis verborumque generibus, speciebus, formis, modis, componuntur, quot sunt in quocunque linguae, nationis, populi, gentis ambitu genera, species, formae, figurae, modi verborum.

besonders geeignet sei ad ostendendam potissimum insignem nostri sermonis ac inimitabilem paene felicitatem. Opitz begnügt sich mit diesen Winken, weil er jenen Kanon Scaligers voraussetzt und eben nur kleine Erweiterungen geben will, wie schon Gervinus 3,229 triftig bemerkt. Nach Opitz nun beginnt der Reigen der Männer, die sich von Berufs wegen als Professores poeseos oder auf den Antrieb ihrer Gesellschaftsgenossen für verpflichtet hielten, aus Scaligers Schmaus ein eigenes Ragout zu brauen. Bei aller Unoriginalität bringt doch fast jeder eine neue Einteilung. Den ganzen Wust dieser Poetiken durchzugehn, ist unnütz. Wir werden an den Hauptvertretern der verschiedenen Sprachgesellschaften uns genügen lassen und bald kleine Fortschritte, bald baren Unsinn finden.

Die berühmte Poetik August Buchners 1) ist in der Behandlung der Epigramme so oberflächlich, als hätte er nie von Scaliger gehört. Er nennt sie kurze „Überschriften" und gibt diesen Namen allen nur aus wenig Versen bestehenden Gedichten, ohne den Inhalt zu berühren. Er gestattet die Anwendung von fremdländischen Sprichwörtern, „da man nicht von garzu wichtigen Sachen handelt und mehrmahl schertzet"; besonders italienischen und französischen, weil die Silbenmessung der unsrigen entspreche. Als beliebige Form empfiehlt er die heroische oder elegische Art. In den heroischen Versen, den Alexandrinern, sollen stets Paare gereimt werden. Man kann mit männlichen oder weiblichen beginnen, der Schluss jedoch soll dem Anfang entgegengesetzt sein. Es ist nicht nötig, stets mit dem vierten Verse den Reim abzuschliessen, sondern er darf aus einem Vierling in den andern gezogen werden". Bei den Epigrammen kann man mit dem sechsten oder zehnten Vers enden und die letzten, sonst erforderlichen Vierlinge fortlassen. In der

1) August Buchners Anleitung zur deutschen Poeterey, wie Er selbige kurtz vor seinem Ende selbsten übersehen, an unterschiedenen Orten geändert und verbessert hat, heraus gegeben von Othone Prätorio. Wittenberg 1665. S. 9, 37, 173 ff., 167 ff.

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elegischen Art muss man die männlichen und weiblichen Verse abwechseln lassen und besser mit den weiblichen anheben. Die Sonette sind ihm eine Art der Epigramme, da bei seiner oberflächlichen Auffassung nach der äusserlichen Form das Sonett die Proposition im Doppel-Vierling, die Auflösung im Sechsling wie das Epigramm brachte. Seine Poetik, die nie den Beifall Ludwigs von Anhalt und seines gestrengen Rektors Gueinz gefunden hat, wurde durch Schottels Teutsche Haubt Sprache 1) abgelöst. Mit einer erstaunlichen Inkonsequenz stellt Schottel mitten unter die verschiedenen, nach rein formalen. Gründen geordneten Versarten die nur inhaltlich präzisierten Kunstfündigen Reime": "in Griechischer und Lateinischer Sprache nennt man dieselbe Epigrammata". Ein solches Reimgedicht, das kurz, nachdrücklich und ,eines bewegenden ausgangs ist", besteht in einem Reimschluss, der an seinem Ende eine sonderbahre Kunstfündigkeit" und einen „merklichen, dringenden, unverhoften Ausspruch" bringen muss. Das „Kunstgriflein“ am Ende soll des Lesers Gemüt und Verlangen befriedigen und ihm so Lust erregen. Von den kunstfündigen Reimen sucht er seltsamer Weise die Stachelreime oder Spottverse zu scheiden, trotzdem auch deren rechte Art „in einer spitzfündigen Kürtze bestehe". Die nahe Verwandtschaft gibt er zu, nur dass sie mehr Spott- und Stachelweis, und Schimpfspitziger gemachet seyn". Der Scherz soll zierlich sein, und der letzte Stachel dem letzten Vers gehören. In seiner ganzen Definition beschränkt Schottel sich auf den Schluss, ohne von den Teilen des Epigramms etwas zu sagen; besonders verschweigt er, wie denn des Lesers Spannung erregt werden müsse, um wirksam befriedigt zu werden.

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Auch die gewählten Beispiele zeigen, dass ihm ein feines Verständnis für das Epigramm fehlte. Versöhnend ist, dass er nachdenklich warnend bemerkt: „es künnen

1) Teutsche Haubt Sprache 1663. S. 983 ff.

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