strebt er nach Auszeichnung und ist dabei in Gefahr, auf das Urteil der Menge zu viel Gewicht zu legen und die äußere Wohlanständigkeit (respectability) für die Tugend selbst zu nehmen. Diesem Irrtum stellt der Dichter das Wesen der wahren Tugend, die der Weise allein besitzt, gegenüber. Zeit. Nicht genauer bestimmbar. Inhalt. I. Horaz fühlt sich in seinen bescheidenen Verhältnissen auf seinem Sabinum glücklich. V. 1 bis 16. II. Wie steht es um Hirpinus? Er wird allgemein für glücklich gehalten, ist es aber nur, wenn er gut und weise ist. Dazu aber gehört: V. 17-72. 1. daß er das Urteil der Menge als wertlos betrachte, da sie den, den sie heute durch Schmeichelei in den Himmel erhebt, morgen mit verleumderischem Klatsch überschüttet; V. 17-40. 2. daß er äußere Wohlanständigkeit III. Der wahrhaft Weise und Tugendhafte Ne perconteris, fundus meus, optime Quincti, arvo pascat erum an bacis opulentet olivae, pomisne et pratis an amicta vitibus ulmo, valle, sed ut veniens dextrum latus aspiciat Sol, 5 10 hae latebrae dulces, etiam, si credis, amoenae, incolumem tibi me praestant Septembribus horis. 15 tu recte vivis, si curas esse quod audis. iactamus iampridem omnis te Roma beatum: sed vereor, necui de te plus quam tibi credas, neve putes alium sapiente bonoque beatum, neu, si te populus sanum recteque valentem dictitet, occultam febrem sub tempus edendi dissimules, donec manibus tremor incidat unctis. stultorum incurata pudor malus ulcera celat. siquis bella tibi terra pugnata marique dicat et his verbis vacuas permulceat auris: ,,tene magis salvum populus velit an populum tu, servet in ambiguo, qui consulit et tibi et urbi, Iuppiter," Augusti laudes adgnoscere possis: cum pateris sapiens emendatusque vocari, respondesne tuo, dic sodes, nomine? „nempe vir bonus et prudens dici delector ego ac tu.“ qui dedit hoc hodie, cras, si volet, auferet, ut si detulerit fasces indigno, detrahet idem. ,,pone, meum est" inquit: pono tristisque recedo. idem si clamet furem, neget esse pudicum, contendat laqueo collum pressisse paternum, mordear obprobiis falsis mutemque colores? 20 25 30 35 falsus honor iuvat et mendax infamia terret quem nisi mendosum et medicandum? vir bonus est quis? ,,qui consulta patrum, qui leges iuraque servat, 40 45 ,,non hominem occidi": ,non pasces in cruce corvos'. ,,sum bonus et frugi": renuit negitatque Sabellus. cautus enim metuit foveam lupus accipiterque suspectos laqueos et opertum miluus hamum. oderunt peccare boni virtutis amore. tu nihil admittes in te formidine poenae: sit spes fallendi, miscebis sacra profanis. 50 55 nam de mille fabae modiis cum subripis unum, damnum est, non facinus, mihi pacto lenius isto. vir bonus, omne forum quem spectat et omne tribunal, quandocumque deos vel porco vel bove placat, ,,Iane pater!" clare, clare cum dixit,,Apollo!", labra movet metuens audiri: „pulchra Laverna, da mihi fallere, da iusto sanctoque videri, noctem peccatis et fraudibus obice nubem". qui melior servo, qui liberior sit avarus, in triviis fixum cum se demittit ob assem, non video: nam qui cupiet, metuet quoque; porro qui metuens vivet, liber mihi non erit umquam. perdidit arma, locum virtutis deseruit, qui semper in augenda festinat et obruitur re. 60 65 vendere cum possis captivum, occidere noli: serviet utiliter: sine pascat durus aretque, naviget ac mediis hiemet mercator in undis, annonae prosit, portet frumenta penusque. 70 vir bonus et sapiens audebit dicere: ,,Pentheu, rector Thebarum, quid me perferre patique indignum coges?",adimam bona'.,,nempe pecus, rem, 75 lectos, argentum: tollas licet". ,in manicis et compedibus saevo te sub custode tenebo'. ,,ipse deus, simul atque volam, me solvet". opinor, hoc sentit,,moriar". mors ultima linea rerum est. 17. Der Unabhängigkeitsflegel. An Scaeva. Daß ein weiser und wackerer Mann kein Speichellecker sein, daß er völlig unabhängig bleiben muß von denen, in deren Händen Macht und Reichtum sind, versteht sich von selbst. Daß Horaz selbst seinem von ihm über alles geliebten Gönner Maecenas gegenüber diese Unabhängigkeit sich bewahrt hat, beweist Epi. I 7. Wie nun aber (Epi. I 16) bürgerliche Unbescholtenheit noch keine wahre Tugend, Grobheit nicht Freimut, Hochnäsigkeit nicht würdiger und berechtigter Stolz, Roheit nicht Tapferkeit ist, so ist auch der bloße Verzicht auf den Verkehr mit den Mächtigen dieser Erde noch lange kein Zeichen wirklicher Freiheit und Unabhängigkeit. Ja, es giebt sogar Menschen, die jenen Verkehr lediglich aus Ungeschick meiden, die gern in der Gunst der Großen sich sonnen und von ihnen mit Ehren und Gaben bedacht sein möchten, denen es aber an der nötigen Gewandtheit zum Umgange mit ihnen fehlt. Da wissen sie denn ihrer Tölpelei kein besseres Mäntelchen umzuhängen, als das des freien, stolzen, unabhängigen Mannes. Daß sie natürlich innerlich wirklich unabhängige Männer, wie Horaz es war, wegen ihres Umgangs mit den Großen für liebedienerische Speichellecker ausgeben und ihnen lediglich die Jagd nach Gunst und Geld als Motiv ihres Verhaltens unterschieben, ist die unausweichbare Folge ihres Charakters. Gegen einen solchen Mann, Namens Scaeva, von dem wir weiteres nicht wissen, wendet sich unser Gedicht. Als Muster des wirklich unabhängigen, feingebildeten Mannes stellt Horaz des Sokrates Schüler Aristipp, den Vertreter des Satzes ἔχω, οὐκ ἔχομαι, den Vorläufer der Epikureer, hin, als Muster des tölpelhaften und rohen Unabhängigkeitsnarren den Kyniker Diogenes. Der Brief endet damit, daß Horaz in neckischer Weise dem Unabhängigkeitsflegel ein Paar gute Ratschläge giebt, wie er in seinem Sinne mit den Großen verkehren und zu seinem Ziele kommen kann. Inhalt. I. Einleitung. Horaz bittet in aller Bescheidenheit, seine Erfahrungen über das, was im Umgange mit Großen sich schicke, mitteilen zu dürfen. V. 1-5. II. Die wahre und die falsche Unabhängigkeit. V. 6-42. 1. Glaubt jemand, daß allein der völlige Verzicht auf den Verkehr mit den Großen den unabhängigen Mann mache, so leiste er ihn, sei dabei aber auch konsequent und ertöte jede Begierde nach dem, was das Leben schön und angenehm gestaltet. V. 6-12. 2. Nötig aber, um sich Unabhängigkeit zu bewahren, ist jener Verzicht nicht. V. 13 bis 42. A. Das beweist Aristipps Beispiel. Denn mit Recht sagte er Diogenes, der ihm über seinen Umgang mit Königen Vorwürfe machte, daß Diogenes diesen Umgang nur meide, weil er mit Königen nicht umzugehen verstehe. V. 13-32. |