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Zur Geschichte

der

Deutschen Bibelübersehung

vor Luther

nebst

34 verschiedenen deutschen Uebersehungen des 5. Cap, aus
dem Evangelium des hl. Matthäns.

Herausgegeben.

von

Joseph Kehrein,

Profeffor am Herzoglich Nafsauischen Gymnasium zu Hadamar, des Vereins zur Erforschung der
rheinischen Geschichte und Alterthümer zu Mainz correspondierendem und der Gesellschaft
für deutsche Sprache zu Berlin auswärtigem Mitgliede.

Stuttgart.

Verlag der 3. F. Cast'schen Buchhandlung.
1851.

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Es gibt gewiffe Irrthümer in der Geschichte, welche, von Einem mit Zuversicht ausgesprochen, dann von Vielen geglaubt und nachgesprochen, durch Jahrhunderte als Wahrheiten gelten. Reich in dieser Hinsicht ist beson= ders die deutsche Geschichte in ihrem politischen wie literarhistorischen Theile. Man vergleiche nur, wie viele Seiten der Geschichte von den Katholiken Alzog, Aretin, Aschbach, Boost, Chmel, Damberger, Döllinger, Hammer-Burgstall, Hefele, Höfler, Hurter, Kopp, Mailath, Möller, Muchar, Phillips, Riffel, Stolberg (und seinen Fortsetern Kerz und Brischar) u. A. und von den Protestanten Barthold, Böhmer, Gfrörer, Hagen, Hense, Lappenberg, Leo, Luden, Menzel, Mone, Raumer, Reuter, Rühs, Stenzel, Voigt, Wilken u. A. nach historischen Quellen anders behandelt sind, als in so manchen für untrüglich gehaltenen Geschichts= werken bisher zu lesen war.

Die inhaltreiche Literaturgeschichte von Gervinus gilt sehr vielen Lesern, nicht allein Laien und sogenannten Literaten, sondern auch Lehrern der deutschen Literaturgeschichte als unantastbare Auctorität; und doch ist dieselbe, abgesehen von dem „Widerwillen gegen alle positive Religion und das Christenthum insbesondere", abgesehen von der Tendenzproceßsucht, die bald von Seiten des Nationalgefühles und Patriotismus, bald von Seiten des widerchristlichen Zweifels gegen die Poefte agiert, sobald ihm diese von Kosmopolitismus, von ausschließlicher Naturliebe, oder von Frömmigkeit angesteckt erscheint," - nicht frei von Irrthümern, wie von Andern ausführlich nachgewiesen ist.

Es hat darum Prof. Hölscher sich den Dank aller Freunde der Wahrheit erworben, und sich um die deutsche Literaturgeschichte sehr verdient gemacht,

daß er mit seinem Buch: "Das deutsche Kirchenlied vor der Reformation, mit alten Melodien, Münster 1848. 8." einen wesentlichen Irrthum beseitigt hat. Aehnliches strebte ich an in meiner „Geschichte der katholischen Kanzelberedsamkeit der Deutschen von der ältesten bis zur neuesten Zeit, Regensburg 1843. 2 Bbe. 8."

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Einer der gerügten, sehr verbreiteten Irrthümer in der deutschen Literaturgeschichte ist der, Luther sei der erste Bibelüberseßer der Deutschen, und zwar nicht allein der Vortrefflichkeit, sondern auch der Zeit nach. Ueber Ersteres (die Vortrefflichkeit) läßt sich streiten, das Legtere (die Zeit) ist eine offenbare Lüge. Am weitesten ist in dieser ungegründeten Behauptung in neuester Zeit Dr. Georg Wilhelm Hopf gegangen in seiner „Würdigung der Luther'schen Bibelverdeutschung mit Rücksicht auf ältere und neuere Uebersetzungen, Nürnberg 1847. 8." Der erste Abschnitt seines Buches: "Die deutschen Ueberseßungen der heiligen Schrift vor Luther“ umfaßt drei Blätter Tert und neun Blätter abgeriffene Proben. Handschriften standen dem Verfaffer (nach S. 7) nicht zu Gebote, von älteren gedruckten Uebersehungen hatte er nur die Nr. VII, IX, XIV, und doch wagt er (S. 6 f.) fols gendes Urtheil auszusprechen: „Was die Beschaffenheit dieser (gedruckten) Uebersehungen anlangt, so hat sich in ihnen die frühere (welche ?) Methode. nicht bloß erhalten, sondern ste zeigt sich bis ins Extreme fortgeführt. Es Herrscht in ihnen eine streng wörtliche, ja buchstäbliche Uebertragung des latei= nischen Tertes; nicht selten kommen wunderliche Verstöße vor, welche von Unkenntniß der lateinischen Sprache zeugen. In der Verbindung der Säge und im Ausdrucke der Modification der Rede ist große Unbeholfenheit. Dann fährt der Verf., dem es eigentlich weniger um unbefangene Würdigung des Geleisteten, als um Behauptung des am Ende feines Buches aufgestellten Sazes: Luther ist der Bibelüberseher der Deutschen," zu thun war, einlenkend fort: „Troß dieser auffallenden Mängel, die man zum Theil auf Rechnung des Zeitalters schreiben muß, haben doch auch fie, wie die älteren Ueberseßungen einzelner biblischen Bücher, einen großen Werth, nicht bloß als Denkmale der deutschen Sprache und der Ueberseßungskunst, sondern auch wegen des großen Vorraths an guten Wörtern, welcher den Uebersegern des 16. Jahrhunderts bei den wenigen literarischen Hülfsmitteln, namentlich in lerikalischer Hinsicht bedeutende Unterstügung gewährte. Daß auch Luther aus ihnen schöpfte, werden wir aus Beispielen weiter unten darzuthun suchen.“ Später (S. 23) sagt der Verfasser: „Diese (mitgetheilten) Proben laffen bei einem Blicke auf die Luther'sche Ueberseßung den großen Abstand der leztern von der alten Translation erkennen. So verschieden indessen

Luthers Arbeit von ber seiner Vorgänger an Form und Gehalt ist, so fehlt es doch auch nicht an fichern Spuren der Benüßung sowohl in einzelnen Ausdrücken, als in ganzen Sägen." Der Verf. weist dann an einzelnen Beispielen nach, daß Luther namentlich die sogenannte Koburgerische Ueber fegung (Nr. IX, Nürnberg 1483) gebraucht habe. Diese einlenkenden, der Wahrheit näher tretenden Säße stehen vereinzelt in dem Buche, das souft von einem andern Geiste durchweht ist.

Mögen wir Luthers Verdienst um die deutsche Bibel mit Recht hoch ans schlagen: so werden wir, wollen wir nicht ungerecht sein, mit Rudolf von Raumer doch eingestehen müssen, daß Luther alle wesentlichen Ausbrücke des christlichen Glaubens in seiner Muttersprache bereits vorgefunden; daß eine Unmasse von biblischen Wendungen und Gedanken seit Jahrhunderten schon eingebürgert gewesen; daß das vom 7—12. Jahrhundert Geleistete den Boden bilde, aus dem Luthers Bibelüberseßung erwachsen; daß man bei aller Hochachtung vor Luthers Verdienst doch jene Männer nicht vergeffen dürfe, auf deren Schultern er stehe..

Und doch soll die Bibel unter der Bank im Staube gelegen haben, bis Luther sie hervorgezogen! Das wagt man vielfach noch jezt zu behaupten, nachdem Panzer, Nast, Steigenberger, Giese, Ebert, Hain u. A. die vor Luther gedruckten deutschen Bibelübersegungen nicht nur genannt, sondern ausführlich beschrieben haben!

at Aber nicht allein in der zweiten Hälfte des 15. und im ersten Viertel bes 16. Jahrhunderts (seit Erfindung der Buchdruckerkunft bis auf Luther) be= schäftigte man sich mit der Bibel; diese war vielmehr das Buch der Bücher" in den Händen des deutschen Klerus, seit die ersten Strahlen des Christenthums in Germaniens Urwälder drangen. In der gesammten deutschen Literatur des Mittelalters waltet überall, wenn auch nicht immer in gleichem Grade, ein religiös-kirchlicher Geist. Das Christenthum hat mit seinen Lehren, wie mit der alt- und neutestamentlichen Sprache den wesentlichsten und entschiedensten Einfluß auf die Ausbildung der deutschen Sprache ausgeübt (vgl unten §. 1). Und da hätte man die Bibel, diese Grundlage des Christenthums, vernach Läßigen sollen?!

Ich muß es der Forschung Anderer überlassen, darzustellen, wie allmälich die Vulgata der Kirche sich gebildet hat, was auch auf die deutschen Uebers segungen von Einfluß gewesen ist; ich bemerke hier nur Einiges, weil auch in dieser Hinsicht manch irriger Saß ausgesprochen worden ist, z. B. daß Victor der griechischen Evangelienharmonie die entsprechenden Stücke der lateinischen Vulgata gegenübergestellt habe. (Vgl. S. 7.) Manche Gelehrte nehmen, auf

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