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schaftlichen und technischen Bedürfnissen aller Art, in Planmässigkeit und in Zufall mitgewirkt" 1. Diese Anschauungen, Wünsche und Bedürfnisse erzeugten aber keinen Volkswillen, der einen Staat geschaffen hätte. Ein menschlicher Willensakt schuf den Staat, aber nicht der Wille der Millionen Menschen, welche ihm unterworfen sein sollten, sondern der Wille derer, welche die Willen der andern beugten. Dies Beugen der Willen beruhte in Belgien noch weniger als vielleicht bei jeder andern Staatsschöpfung auf absoluter physischer Kraft. Es wirkten die verschiedensten Momente zusammen. Vor allem war es die Not der Zeit, in welcher d'Hoogvorst und seine Kollegen mit dem Anspruch auftreten konnten: Unser Wille ist staatlicher Wille. Sie forderten Gehorsam und fanden ihn. Manches sittliche Band verknüpfte sie mit der Mehrzahl der Volksgenossen; und doch beruhte die Unterordung derselben auf dem Willen derer, welche eine faktische Ordnung dadurch verwirklichten, dass sie sich über die andern stellten. Belgien wurde Staat durch das Entstehen unmittelbarer, staatliche Funktionen versehender Organe. Diese Organe waren aber Organe lediglich durch eigenen Willensakt, frei versahen sie diese Funktionen. Die causa efficiens der Entstehung des belgischen Staates war die Schaffung einer alle Volksgenossen umfassenden, auf die Dauer gesicherten Ordnung, welche verwirklicht wurde durch Betätigung des Herrscherwillens der provisorischen Regierung. Eine Verschiebung des staatserzeugenden Willensaktes von der provisorischen Regierung auf das Volk" widerspricht den realen Verhältnissen. Die Befugnisse, welche die Mitglieder der provisorischen Regierung erfolgreich für sich in Anspruch nahmen, leiteten sie von niemand ab; sie leiteten sie her, wie der Prinz von Oranien richtig sagte: „de leur propre autorité". Oder wer gab ihnen die Macht, z. B. durch das Wahlgesetz den Volksgenossen von über 25 Jahren ein Wahlrecht zu geben, denen unter 25 Jahren es zu versagen?

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Dass einzelne ihren Willen als den für drei Millionen staatlich nicht organisierter Menschen verbindlichen Willen durchgesetzt haben, ist eine der juristischen Konstruktion nicht zugängliche Tatsache. Jeder dahin zielende Versuch muss scheitern, und jeder, der etwa eine rechtliche Konstruktion aufstellen würde, müsste sich

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Vgl. HAENEL, Studien II 215.

S. hierzu vor allem v. HOLTZENDORFF, Handbuch II 26.

nach sorgfältiger Prüfung, ob er nicht den Tatsachen Gewalt angetan, gestehen, dass er sich eine Rechtsordnung fingiert hat, an der er reale Dinge messen möchte.

Von den alten staatlichen Zuständen kann die neue Staatsgewalt nicht hergeleitet werden. Die neue Staatsgewalt ist entstanden auf staatlosem Gebiet, sie ist an die Spitze einer staatlich nicht organisierten Masse getreten. Sie entstand, als der alten Staatsgewalt auf belgischem Boden ein gewaltsames Ende bereitet war. Es ist unmöglich, einen rechtlichen Zusammenhang zwischen der alten und der neuen Gewalt finden zu wollen.

Alle jene, denen der Staat ein Gebilde des Rechts ist, denen die Tatsache, dass A sich mit Herrschergewalt über B, C, D, E, F usw. stellt, ein rechtlicher Vorgang, die Beziehung zwischen Herrscher und Beherrschten ein Produkt des Rechts scheint, gehen von naturrechtlichen Ideen aus und sind bewusst oder unbewusst Anhänger der Vertragstheorie in einer ihrer Schattierungen. Dass der staatschöpfende Vertrag aber nur in der Idee besteht, zeigt gerade die Entstehung des belgischen Staates recht schlagend. Der Wille des B, C, D, E usw. macht den A nicht zum Herrscher, wohl aber kann das Verhalten einer grossen Zahl der Landsleute in A den Entschluss reifen lassen und ihm die Möglichkeit geben, herrschend aufzutreten. Letzteres selbst ist ein Faktum, welches historisch, aber nicht mit einer juristischen Formel begriffen werden kann.

Die Ergebnisse unserer Untersuchung

sind in Kürze folgende: Alle Vorgänge bis zum Ausschluss der holländischen Staatsgewalt vom belgischen Boden sind nach holländischem Recht zu beurteilen. Die Vorgänge in der Zeit zwischen dem Ausschluss der alten und der Entstehung der neuen Staatsgewalt sind rechtlich undefinierbar. Die neue Staatsgewalt und damit der belgische Staat - ist entstanden durch wirksame Betätigung des Willens der Mitglieder der provisorischen Regierung, Träger einer staatlichen Gewalt zu sein. Die belgische Staatsgewalt ist als eine in ihren Trägern rechtlich unbeschränkte geboren. Das Inkrafttreten der Constitution belge fällt mit der Entstehung des belgischen Staates zeitlich nicht zusammen. Der belgische Staatsschöpfungsakt ist eine der juristischen Konstruktion unzugängliche Tatsache.

Zweiter Teil.

Die Entstehung des Norddeutschen Bundes.

Erster Abschnitt.

Historische Darstellung.

Der Sieg der Truppen auf den Schlachtfeldern ebnete endlich den preussischen Staatsmännern die Wege, eine staatliche Einheit wenigstens des deutschen Nordens unter Preussens Führung herzustellen. „Um der auf Grundlage der preussischen identischen Noten vom 26. Juni 1866 ins Leben getretenen Bundesgenossenschaft zwischen Preussen, Mecklenburg-Schwerin, Sachsen-Weimar . . Hamburg einen vertragsmässigen Ausdruck zu geben" 1, beschlossen die verbündeten Staaten am 18. August 1866 die Herbeiführung eines engen Bundesverhältnisses. Der von den in Berlin versammelten Bevollmächtigten der genannten Staaten abgeschlossene Staatsvertrag bestimmte im wesentlichen folgendes:

Die Regierungen schliessen ein Offensiv- und Defensivbündnis zur Erhaltung der Unabhängigkeit und Integrität, sowie der inneren und äusseren Sicherheit der beteiligten Staaten. Unter Mitwirkung eines gemeinschaftlich zu berufenden Parlaments soll eine Bundesverfassung festgestellt werden. Die Regierungen werden Bevollmächtigte nach Berlin senden, um einen Verfassungsentwurf ausarbeiten zu lassen, welcher dem Parlament zur Beratung und Vereinbarung vorgelegt werden soll. Die Dauer des Bündnisses ist bis zum Abschluss des neuen Bundesverhältnisses, eventuell auf ein Jahr festgesetzt, wenn der neue Bund nicht vor Ablauf eines Jahres geschlossen sein sollte.

Die übrigen Staaten nördlich der Mainlinie traten beim Frie

1 S. Gesetzsammlung 1866, S. 631.

densschlusse mit Preussen diesem Vertrage bei. Die Regierungen brachten alsbald bei ihren Volksvertretungen ein inhaltlich fast übereinstimmendes Wahlgesetz für das zu berufende Parlament ein; das Reichswahlgesetz vom 12. April 1849 wurde überall zu Grunde gelegt. Die Wahlen fanden am 12. Februar 1867 statt, worauf König Wilhelm namens der verbündeten Regierungen den konstituierenden Reichstag einberief. Der inzwischen fertiggestellte Entwurf wurde dem Reichstage vorgelegt und von diesem mit mehrfachen Abänderungen angenommen. Der aus den Reichstagsberatungen hervorgegangene Verfassungsentwurf fand die Billigung sämtlicher Regierungen. Nunmehr wurde er in den einzelnen Staaten mit Zustimmung der Volksvertretung eines jeden Staates als Gesetz publiziert. Die Eingangsworte des preussischen Publikationspatentes über die Verfassung des Norddeutschen Bundes vom 24. Juni 1867 mögen hier wiedergegeben werden: „Wir Wilhelm . . . tun kund und fügen hiermit zu wissen: Nachdem die Verfassung des Norddeutschen Bundes von den verbündeten Fürsten und freien Städten mit dem Reichstage vereinbart worden ist und die Zustimmung beider Häuser des Landtages der Monarchie erhalten hat, verkünden Wir nachstehend die gedachte Verfassung und bestimmen zugleich, dass dieselbe im ganzen Umfange der Monarchie... am 1. Juli d. J. in Kraft treten soll." Auch die übrigen Publikationspatente bezeichneten den 1. Juli als den Tag, von welchem an die Bundesverfassung gelten solle. Bereits am 8. Juli liess König Wilhelm durch Bevollmächtigte für den Norddeutschen Bund mit den süddeutschen Staaten einen Vertrag abschliessen. Am 14. Juli wurde Bismarck zum Bundeskanzler ernannt. Zwölf Tage später erliess Wilhelm I. das berühmt gewordene Publikandum, in welchem er folgendes bekannt gab: „Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden König von Preussen, tun kund und fügen hiermit im Namen des Norddeutschen Bundes zu wissen: Nachdem die Verfassung vereinbart worden, ist dieselbe in dem ganzen Umfange des Norddeutschen Bundesgebietes . . . (folgt Text der Verfassungsurkunde) unter dem 25. Juni d. J. verkündet worden und hat am 1. Juli d. J. die Gesetzeskraft erlangt. Indem Wir dies hiermit zur öffentlichen Kenntnis bringen, übernehmen Wir die Uns durch die Verfassung des Norddeutschen Bundes übertragenen Rechte, Befugnisse und Pflichten."

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Zweiter Abschnitt.

Die Behandlung der gleichzeitigen Entstehung des Norddeutschen Bundes und seiner Verfassung in der staatsrechtlichen Literatur.

,Am 30. Juni 1867 stehen in Norddeutschland noch 22 Staaten in voller Souveränität, keiner irdischen Macht untertan, nebeneinander . . . Eine Tageswende später: und ein norddeutscher Staat steht... über jenen 22 alten Gemeinwesen und beginnt - handlungsfähig geboren wie alle Staaten sofort. . . tatkräftig zu leben", ausgestattet mit einer „Verfassung". Verfassung". Damit steht die Wissenschaft vor zwei innig miteinander verbundenen Fragen, vor der Frage: Wodurch entstand der Neustaat?" und vor der zweiten: „Ist es möglich, den Rechtscharakter der Bundesverfassung wissenschaftlich zu begründen?"

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v. Seydel2 lässt die mit dem Reichstag vereinbarte Verfassung am 1. Juli 1867 zum gleichmässigen Landesgesetze sämtlicher verbündeten Staaten werden. Was Vertrag zwischen den Staaten war, wurde vor dem 1. Juli innerhalb jedes Staates als Gesetz verkündet und so mit formeller Gesetzeskraft ausgestattet. Die Norddeutsche Bundesverfassung ist demnach Landesrecht jedes einzelnen Bundesstaates geworden und geblieben, nicht mehr, nicht weniger. Deshalb steht es für v. Seydel fest, dass der Norddeutsche Bund ein Staatenbund und kein Staat war.

Auch Arndt sieht in der Bundesverfassung ein übereinstimmendes Landesgesetz aller beteiligten Staaten. Während v. Seydel die staatliche Natur des Norddeutschen Bundes leugnet, äussert sich Arndt also: „Das staatsrechtliche Wollen, zu welchem sich die Herrscher in den deutschen Staaten bei Erlass der Bundesverfassung entschlossen, besass, wie gegen Seydel zu behaupten ist, allerdings Zeugungskraft; es schuf durch Uebertragung nicht bloss von einzelnen Rechten, sondern eines grossen Teils der lebendigen Staatsgewalt, insbesondere der Befugnis zur eigenen Gesetzgebung einen neuen lebendigen Staatsorganismus, welcher mit eigenem von dem des Schöpfers unabhängigen Willen und eigener Willensfähigkeit ausgestattet ist." Zur Erklärung zieht Arndt als Beispiel an, dass der vor Erlass der Verfassung absolute preussische König

BINDING S. 3f.

2 Kommentar, 2. Aufl. 1897.

3 Das Staatsrecht des Deutschen Reiches 1901, S. 31.

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