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setzungen noch ihrem Inhalte nach eine verfassungsmässige war. Die Regentschaft ist im grossen und ganzen, wie die provisorische Regierung seit dem 12. November 1830, nichts anderes als eine eigentümliche Art der Einrichtung der Exekutivgewalt. Vom rechtlichen Standpunkt aus betrachtet reicht die Regentschaft nicht im entferntesten an die Machtfülle der provisorischen Regierung vor dem 12. November 1830 heran, weil die Gewalt der letzteren damals eine diktatorische, rechtlich unbeschränkte war.

Nichts mehr und nichts weniger als eine Erscheinungsform der Einrichtung der Exekutivgewalt ist das sog. Königtum'. Vor und nach dem 21. Juli 1831 ist der belgische Staat ein und derselbe geblieben, aufgebaut auf völlig demokratischer Grundlage. Für deutsche Begriffe ist an der belgischen Monarchie nicht viel mehr als der Name monarchisch, wenngleich nicht verkannt werden darf, dass die Kraft der Persönlichkeit eines Trägers der Krone diesen über das geringe Mass von Bedeutung erheben kann, welches die Verfassung ihm zuteilt. „Die belgische Verfassung birgt die Republik in sich. Die äussere Form des Königtums erzeugt nur die Täuschung einer Monarchie 2. " Die jeweilige Parlamentsmehrheit hat das Heft in Händen; die Teilnahme des Königs an der Gesetzgebung ist, wie v. Seydel trefflich darlegt, fast ganz bedeutungslos. Der Nationalkongress hat Vorsorge getroffen, dass die Volksvertretung stets in Belgien das Uebergewicht behalten wird. Namentlich das Budgetrecht gibt die ausschlaggebende Stimme in allen wichtigen Staatsangelegenheiten dem Parlament. Die Kammern sind dadurch jederzeit in der Lage, den König selbst in der Ausübung der wenigen pouvoirs d'attribution (Art. 78) ihrem Willen gefügig zu machen. Der Träger der Exekutivgewalt steht unter fortwährender Kontrolle der Kammern. Von ihrem Willen hängt es ab, nach welchen Maximen die Exekutivgewalt vorzugehen hat. Tatsächlich muss der König seine Minister aus den Mitgliedern der Parlamentsmehrheit ernennen. Vererblichkeit der Krone, Berufung auf Lebenszeit, gewisse Ehrenvorrechte, Unverantwortlichkeit und Unverletzlichkeit unterscheiden den König der Belgier von dem Präsidenten einer Republik 3.

Soviel über die Bedeutung des belgischen Königtums im allgemeinen. Auch das faktische Gewicht desselben bei seinem Ins

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lebentreten darf nicht überschätzt werden, und zwar weder seine Macht nach innen noch nach aussen. Mehr vielleicht als irgendje und irgendwo waltete damals in Belgien der Geist Benjamin Constants, des wissenschaftlichen Vorkämpfers des Parlamentarismus 1, und er hatte der Verfassung sein Gepräge gegeben. Wie jene dachten, welche ihren Text feststellten, so dachten vom Königtum auch wohl die meisten derjenigen, welche zum Kongress gewählt hatten. Auch nach aussen hin war der belgische Staat bereits vor dem Regierungsantritt Leopolds vollständig in seinem Bestande gesichert. Und er war es auch angesichts der internationalen Lage gegenüber dem holländischen Staate, der eben seine Heeresmacht aufgeboten hatte und Belgien bedrohte. Belgiens Selbständigkeit ruhte von vornherein auf einem sehr festen Fundament, es wurde von Anfang an erhalten durch die internationalen Machtverhältnisse2. Belgien behauptet sich, wie v. Treitschke sagt, nicht positiv, durch eigene Kraft, sondern negativ, durch die Verhältnisse des europäischen Gleichgewichts. Die Existenz des jungen belgischen Staates war sofort nach seiner Entstehung auch nach aussen garantiert. Diese Garantie musste notwendig vorhanden sein, wenn anders man der neuen politischen Gemeinschaft den Staatscharakter beilegen darf.

Die tatsächliche Bedeutung der ausdrücklichen Anerkennung des fait accompli am 20. Dezember 1830 ist demgegenüber keine allzu grosse. Auch vom völkerrechtlichen Standpunkte aus ist das Ereignis des 20. Dezember 1830 als etwas rein Formales, nicht für das Dasein des belgischen Staates Wesentliches anzusehen.

Eine Erörterung darüber, ob der Neustaat völkerrechtliche Persönlichkeit erst durch einen Rechtsakt der älteren Staaten erlangt, was z. B. Heilborn behauptet, oder ob er mit seiner Entstehung sofort Rechtssubjekt des Völkerrechts wird, können wir uns füglich schenken. Für unsern Zweck ist genügend zu konstatieren, dass wohl kein Schriftsteller der (ausdrücklichen oder stillschweigenden) Anerkennungserklärung der übrigen Staaten die Bedeutung beilegt, dass durch sie erst der Staat zur Entstehung gelange, sondern dass von allen die Existenz des Staates als Voraussetzung der Anerkennung hingestellt wird. „Die Anerkennung ist nur deklaratorischen, nicht konstitutiven Charakters" 3, wenigstens

1 v. SEYDEL S. 71

GAREIS S. 56.

2 V. TREITSCHKE I 42.

soweit es sich um das Dasein des Neustaates handelt1. Selbst die Anerkennung seitens des beeinträchtigten holländischen Staates ist für die Existenz des Neustaates ohne jede rechtliche Bedeutung, da sich Belgien nicht mehr von dem Hauptstaate trennen will, sondern sich bereits seit Jahren getrennt hat, als Holland sich entschliesst, sich der Tatsache zu beugen. Die Anerkennung seitens des alten Staates hatte nicht mehr und nicht weniger Wert als die Anerkennung seitens jedes andern Staates. Die Einreihung des belgischen Staates in die Staatenfamilie, die völkerrechtliche Anerkennung konnte natürlich statthaben vor Vollendung seiner Organisation, worin wir Jellinek zustimmen. Aber damit ein Staat da sei, braucht nicht gerade diese Organisation realisiert zu sein. Ein werdender Staat, ein Nochnichtstaat ist eine Unmöglichkeit, ist eine Unmöglichkeit auch für das Völkerrecht. Was nicht Staat ist, kann nicht Subjekt des Völkerrechts sein. Sobald ein auf einem bestimmten Territorium sesshaftes Volk sich als unabhängig erweist und irgend ein nach aussen handlungsfähiges Organ besitzt 3, ist der Staat fertig und eine Anerkennung zulässig, oder besser gesagt, überhaupt möglich.

C. Die juristische Unkonstruierbarkeit des belgischen
Staatsschöpfungsaktes.

Die Lösung der Frage nach der Konstruierbarkeit der Staatsentstehung im allgemeinen ist von den verschiedensten Standpunkten aus versucht worden, ohne dass man zu einem übereinstimmenden Resultate gekommen wäre. Es ist als ein Fehler zu bezeichnen, dass man gleich die kompliziertesten Staatengründungen anfasst, statt zunächst die einfachen Staatsschöpfungen zu betrachten, die uns wichtige Aufschlüsse geben können für die Lösung der Frage. Vielleicht wird unsere kleine Studie hier auch einige Dienste tun.

Das Naturrecht stellte den Staat als ein Rechtserzeugnis hin, die Entstehung des Staates war ihm eine Rechtsfrage. „Die Begründung des Staates durch Vertrag stand lange Zeit als naturrechtliches Axiom über jeden Zweifel erhaben.“ Noch in unsern Tagen wird von einzelnen juristischen Schriftstellern ganz allgemein

1 HEILBORN S. 998: „Die Anerkennung setzt die Entstehung eines neuen Staates voraus."

2 Vgl. ULLMANN S. 67.

4

JELLINEK, Staatslehre S. 243.

3 JELLINEK, Staatenverbindungen S. 271.

5 BORNHAK, Allgemeine Staatslehre S. 16.

behauptet, der Staat sei ein Gebilde des Rechts'. Im grossen und ganzen dachte man sich die Entstehung des Staates in der Weise, dass Herrscher und Untertanen einen Vertrag des Inhalts abschliessen, dass sich letztere der Gewalt des Herrschers unterwerfen. Diese Lehre erfuhr mannigfache Modifikationen, die im einzelnen darzulegen hier zu weit führen würde. So liess man jeden einzelnen Untertan mit jedem andern Untertan einen Vertrag schliessen, wonach sie alle dem einen Willen des Herrschers unterworfen sein sollten.

Die Unhaltbarkeit dieser Theorieen, welche im wesentlichen alle von denselben falschen und tatsächlich unmöglichen Voraussetzungen ausgehen, ist schon des öfteren nachgewiesen worden. Ihre grösste Schwäche liegt eben darin, dass es keinen Staatsschöpfungsakt gibt, der einen derartigen Vertragsschluss darstellt. Freilich glaubte Mohl es als „Keckheit oder Unwissenheit" scharf tadeln zu müssen, welche das sogar häufige Vorkommen von Staatengründungen mittelst Vertrags ableugnen will". Treffend bemerkt dazu Jellinek: „Die Frage, ob der Abschluss eines Vertrags bei Gründung eines Staates auch wirklich die causa efficiens des Staates sei, wird von Mohl nicht einmal aufgeworfen." Der Urvertrag besteht nur in der Idee. Versucht man ihn auf den einzelnen Fall zu übertragen, so stellt sich heraus, dass er keine Realität hat 3.

Bei der Entstehung des belgischen Staates ist kein dem Schöpfungsakt vorausgehender oder mit ihm identischer Vertrag zu entdecken. Wenn das Volk sich den als Diktatoren auftretenden Mitgliedern der provisorischen Regierung beugte, so bedeutet das keinen Vertrag. Nur dieses Sichbeugen kann bei der Genesis des belgischen Staates als der zu untersuchende Moment in Frage kommen. Wo ist dabei der eine Compaziszent, der seine Willenserklärung abgibt? Kann überhaupt eine unorganisierte Masse eine solche Willenserklärung abgeben? Nicht viel mehr als Phrase ist's, wenn man von dem Staat als dem freien Werk des bewussten Volkswillens redet. Was den belgischen Staat schuf, war nicht der nicht existierende Volkswille, sondern die schöpferische Willensund Tatkraft der Mitglieder der provisorischen Regierung, die herrschend, befehlend sich ungerufen über ihre Volksgenossen stellten.

1 Z. B. GRUEBER in Birkm. Enzyklopädie, 2. Aufl. S. 45.
JELLINEK a. a. O. S. 244.

4 Vgl. MARTENS I 270.

3 KOCH S. 19 und 24.

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Man kann nicht operieren wollen mit so gelinde gesagt starken Abstraktionen wie Volksbewusstsein, Volksgeist, Volkswille1. Der „nebelhafte Volkswille" gehört von Rechts wegen in die Sphäre wesenloser Phantasiegebilde2. Die Volksmasse war absolut unfähig, in geordneter Weise tätig zu werden. Das Volk konnte sich unmöglich als Einheit organisieren; nicht die drei Millionen Belgier schufen die Ordnung. Wenn sich das Volk Organe bestellt hätte, dann wäre es bereits handlungsfähig gewesen, dann hätte der Staat bereits vor seinen Organen existiert, und das ist eine unvollziehbare Vorstellung. Eine Ordnung vor einer Ordnung ist ein Widerspruch in sich selbst 5." Von irgendwelchen Abmachungen finden. wir nicht die Spur in den historischen Darstellungen. Auch aus der vorrevolutionären Zeit, aus der Zeit des Bündnisses zwischen der katholischen und der liberalen Partei, ist uns nichts bekannt von irgendwelcher Absprache zwischen den Parteien hinsichtlich einer später zu schaffenden neuen Staatsgewalt. Nichts von Verträgen! Aber selbst gesetzt, es wären solche Vereinbarungen getroffen worden, ja, sehen wir in dem Sichbeugen des Volkes unter die provisorische Regierung eine stillschweigende Willenserklärung des „Volkes": der belgische Staat, oder besser gesagt, die erste belgische Staatsgewalt, ist doch nicht durch Vertrag entstanden. „Denn durch Vertrag kann man keinen höheren Willen über sich

hervorbringen." Und ebensowenig, wie die Klagen und die Unzufriedenheit der Belgier mit der holländischen Herrschaft diese gestürzt haben, hat die Einsicht von der Notwendigkeit, Selbstlosigkeit usw. der provisorischen Regierung den Willen der Mitglieder der Regierung über den Willen aller ihrer Volksgenossen gestellt. Sie wurden Herrscher durch Betätigung des Willens, Herrscher zu sein, durch Auferlegen ihres Willens als des für alle massgeblichen, verbindlichen Willens. Wirksam musste diese Betätigung des Willens sein; dass sie dies sogleich war, dazu hatte „eine Fülle der verschiedensten Kräfte in physischen und geistigen Nötigungen, in sittlichen und religiösen Anschauungen, in wirt

1 S. BERGBOHM S. 490 f. Gegen jene Begriffe auch STIER-SOMLO, Volksüberzeugung als Rechtsquelle 1900, S. 25 ff.

* ZORN in Krit. Vierteljahrsschr. 1880, S. 79. Vgl. MENZINGER in Krit. Vierteljahrsschrift 1898, S. 595. ZITELMANN in Archiv f. civ. Praxis 1883, S. 422. 3 ZORN ebenda S. 77. JELLINEK, Gesetz und Verordnung S. 207. Unklar JELLINEK, Staatenverbindungen S. 257 und 263, richtig S. 266. JELLINEK ebenda S. 266. 6 So JELLINEK ebenda S. 257.

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