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sich vorläufig noch nicht mit der Aufrichtung eines neuen Staates, mit der Herstellung einer neuen Ordnung befasste und noch nicht. befassen konnte, solange die alten staatlichen Zustände nicht weggeräumt waren.

Das Blut, welches die Brüsseler vergossen, der überraschend leichte, schnelle und grosse Erfolg der Septembertage rief allenthalben eine unversöhnliche, aber auch belgisch-nationale Stimmung hervor. Das Mass dessen, was man erstrebte, wurde grösser: „Ce n'était plus la séparation administrative que les Belges reclamaient. après les quatre journées de Bruxelles: c'était l'indépendance 1.“ Die Tragweite des Sieges in Brüssel liess sich nicht sogleich überschauen. Brüssel war und ist eben nicht die Hauptstadt Belgiens in dem eminenten Sinne, wie Paris die Hauptstadt Frankreichs ist. Doch waren bald nur die nördlichen Teile des Landes in holländischen Händen.

Der belgische Boden ist frei von der holländischen Herrschaft, welche sich fortan nicht mehr zur Geltung zu bringen vermag. Das Haus Oranien hat aufgehört, in Belgien zu regieren. Die Revolution hat die früheren staatlichen Zustände beseitigt und zwar für immer. Der alte Staat ist eingestürzt, der staatliche Neubau noch nicht errichtet. Die belgische Revolution stellt keine momentane Fieberkrise im Leben des holländischen Staates dar, sondern sie hat zur dauernden vollständigen Ausschliessung der holländischen Staatsgewalt geführt.

Zweiter Abschnitt.

Die Entstehung der belgischen Staatsgewalt.

A. Historische Darstellung.

Am 29. September 1830 ernannte die provisorische Regierung aus ihren Mitgliedern ein Zentralkomitee, ein Dreimännerkollegium, welchem ausdrücklich die Exekutivgewalt zugewiesen wurde. Sie organisierte ferner in den ersten Tagen ihres Daseins mehrere Ministerien, deren Chefs unverantwortliche Kommissare der Regierung waren. Mehr und mehr beugte man sich in ganz Belgien der Autorität der Regierung. Auf sie waren die Blicke der Bürger

1 JUSTE, Le régent S. 53.

2 Von hohem Interesse NOTHOMв 4me éd. S. 112.

3 JUSTE, Charles Rogier S. 27.

gerichtet, sie war die Hoffnung der Patrioten. So begreift man, welche Wirkung es hervorrief, als die provisorische Regierung am 4. Oktober folgendes hochbedeutsame Dekret erliess:

,,Le gouvernement provisoire, considérant qu'il importe de fixer l'état futur de la Belgique, arrête:

I. Les provinces de la Belgique, violemment détachées de la
Hollande, constitueront un État indépendant.

II. Le comité central s'occupera au plus tôt d'un projet de constitution.

III. Un Congrès national, où seront représentés tous les interêts des provinces, sera convoqué. Il examinera le projet de constitution belge, le modifiera en ce qu'il jugera convenable, et le rendra, comme constitution définitive, exécutoire dans toute la Belgique."

Unter der Unabhängigkeit verstand man nicht etwa eine blosse Trennung der Verwaltung von Nord und Süd; auch eine dynastische Personalunion genügte den Belgiern nicht mehr, der Sinn war fortan gerichtet auf völlige Unabhängigkeit Belgiens für immer'. Mit Regierungsgeschäften überhäuft, ernannte das Zentralkomitee am 6. Oktober aus Nichtregierungsmitgliedern eine Verfassungskommission, welche sich unverzüglich an die Abfassung eines Entwurfs machte. Seit dem 8. Oktober wurden die Gerichtsentscheidungen im Namen des belgischen Volkes erlassen?.

Es fehlte noch ein Wahlgesetz. Durch Erlass vom 10. Oktober bestimmte die provisorische Regierung die Art und Weise, wie die Deputierten zu wählen seien, und die Voraussetzungen des Wahlrechts und der Wählbarkeit. Sie wollte, dass der Kongress, welcher berufen sein würde, über die Verfassung zu beschliessen, eine wirkliche Vertretung der Nation darstellte, weshalb sie direkte Wahl vorschrieb. „Der Kongress sollte bestehen aus zweihundert durch direkte Wahl der Wahlkollegien der Städte und Landgemeinden (bezüglich des Landes unter Herabsetzung des Zensus auf die Hälfte) gewählten Mitgliedern. Diesen Kollegien hatte man die Personen höherer Bildung (Doktoren, Offiziere usw.) eingereiht 3." Als Tag der Vornahme der Wahl wurde der 3. November festgesetzt.

Trotz einiger Anfeindungen der Regierung geschah alles nach

1 GEORG WEBER S. 834.

VAUTHIER S. 14f.

2 VAUTHIER S. 15.

ihrem Willen. Sie entfaltete eine rastlose Tätigkeit. Die holländischen Einrichtungen liess sie in der Hauptsache unverändert, beseitigte aber durch eine Reihe von Dekreten alles, was das holländische Regiment so verhasst gemacht hatte. In mehreren Erlassen proklamierte die provisorische Regierung die hauptsächlichsten Freiheiten der Bürger, die Freiheit der Kulte, der Presse, der Theater und das freie Vereins- und Versammlungsrecht. Alle entgegenstehenden Gesetze aus der holländischen Zeit sollten nicht gelten. Mit berechtigtem Stolze schilderte später bei der Eröffnung des Nationalkongresses de Potter den Umfang und die Bedeutung der Tätigkeit der provisorischen Regierung während des Monats Oktober3. Unerträgliche Steuern wurden abgeschafft, das Strafprozessverfahren reformiert, entehrende Strafvollstreckungsarten verboten, die Wahl der Lokalbehörden umgestaltet, die Organisation der Polizeibehörden geändert usw..

Inzwischen hatte sich Gendebien mit Zustimmung seiner Kollegen nach Paris begeben und von der französischen Regierung die Zusicherung erhalten, dass sie unter keinen Umständen die Einmischung einer fremden Macht in die belgisch-holländischen Angelegenheiten dulden würde.

Die nationale Unabhängigkeit Belgiens war proklamiert. Vergebens liess sich der König Wilhelm dazu bewegen, noch einmal seinen ältesten Sohn nach Belgien zu schicken, ausgestattet mit den weitgehendsten Vollmachten. Ein königlicher Erlass vom

4. Oktober ernannte ihn zum vorläufigen Statthalter der südlichen Provinzen. Bereits am folgenden Tage veröffentlichte er in Antwerpen eine Proklamation, welche allgemeine Amnestie verhiess und die Trennung der Verwaltung von Nord und Süd versprach. Alle alten Forderungen der Belgier sollten erfüllt werden. Die Einsicht kam zu spät. Da tat der Prinz, um sein Haus nicht dauernd der belgischen Lande verlustig zu sehen, einen letzten, verzweifelten Schritt: er erklärte in einer Bekanntmachung, er erkenne die Belgier als eine unabhängige Nation an, er wolle die belgische Sache zu der seinigen machen, sich an die Spitze der nationalen Bewegung stellen und sich den Entscheidungen des frei zu berufenden Nationalkongresses fügen. Die provisorische Regie

1 Vgl. JUSTE, Charles Rogier S. 30-32. Ueber die Anfänge einer eigenen Finanzverwaltung vgl. ebenda S. 20 n. 1. Ausserdem JUSTE, Congrès II 26. 2 MOKE S. 593. JUSTE, Congrès I 89.

Vgl. besonders JUSTE, Congrès I 65 ff.

rung erwidert darauf am 18. Oktober: „Die Unabhängigkeit Belgiens, welche der Prinz von Oranien in seiner Proklamation vom 16. Oktober formell anerkennt, ist bereits Tatsache geworden durch den Sieg des Volkes und bedarf keiner Bestätigung1." Am 20. Oktober wurde der Prinz von seinem Vater in einer Botschaft an die Generalstaaten förmlich desavouiert. Allen Vermittlungsversuchen bereitete die schreckliche Beschiessung der belgischen Handelsmetropole Antwerpen ein jähes Ende. Eine ungeheure Wut bemächtigte sich der Belgier, welche durch diesen brutalen Akt geschreckt werden sollten. Die letzte Hoffnung, die Belgier würden schliesslich doch noch einer Personalunion zustimmen, war dahin.

Die Wahlen zum Nationalkongress gingen glatt von statten, da nur Maastricht und Nord-Brabant noch in Händen der holländischen Truppen waren. Als befände sich das Land in Frieden und Ordnung2, so gross war bereits der Einfluss der provisorischen Regierung. Die Nationalversammlung trat am 10. November 1830 in Brüssel zusammen. Am gleichen Tage nahm die Regierung einen von den Vertretern der Grossmächte, welche auf Veranlassung des Königs Wilhelm in London zu einer Konferenz zusammengekommen waren, zwischen Holland und Belgien vermittelten Waffenstillstand an.

Im Namen der provisorischen Regierung eröffnete de Potter den Nationalkongress. Welche Rolle sollte jetzt der provisorischen Regierung zufallen? Nach de Potter sollte sie neben dem Nationalkongress bestehen bleiben; bisher hatte sie allein alle Gewalt ausgeübt und sollte sie jetzt mit dem Kongress teilen, wobei er jedoch für die provisorische Regierung die höchste und legitime Autorität in Anspruch nahm3. Die übrigen Mitglieder der Regierung waren selbstloser und wollten ihr am 4. Oktober gegebenes Wort im vollen Umfange halten. Jetzt, wo ein Organ vorhanden war, welchem sie die Geschicke des Landes anvertrauen konnten, beschlossen sie, ihre Gewalt in die Hände des Kongresses als des „,allein gesetzund rechtmässigen Organs des belgischen Volkes" niederzulegen. Diesen Beschluss verlas Rogier in der Sitzung des 12. November: „Le gouvernement provisoire, ayant reçu notification de la constitution du Congrès national, vient remettre à cet organe légal et régulier du peuple belge le pouvoir provisoire qu'il a exercé depuis

JUSTE, Congrès I 47.

3 Vgl. LAVISSE-RAMBAUD S. 359.

2 Ebenda I 84.

le 24 septembre 1830 dans l'intérêt et avec l'assentiment du pays." In dankbarer Anerkennung der Verdienste der provisorischen Regierung befiehlt sogleich der Kongress ihren früheren Mitgliedern, die vollziehende Gewalt auszuüben, bis der Kongress in dieser Hinsicht anderweitige Bestimmungen treffen würde.

Damit ist die Entwicklung Belgiens in ein neues Stadium getreten. Der Kongress verkündigte im Laufe des November drei Erklärungen bzw. Grundgesetze folgenden Inhalts:

1. (vom 18. November): „Au nom du peuple belge, le Congrès national de Belgique proclame l'indépendance du peuple belge, sauf les relations du Luxembourg avec la Confédération germanique.“ 2. (vom 22. November): „Au nom du peuple belge, le Congrès national déclare que le peuple belge adopte, pour forme de son gouvernement, la monarchie constitutionelle représentative, sous un chef héréditaire."

3. (vom 24. November): „Le Congrès national déclare, au nom du peuple belge, que les membres de la famille d'OrangeNassau sont à perpétuité exclus de tout pouvoir en Belgique.“

Das erste und dritte Gesetz wurden am 24. Februar 1831 vom Nationalkongress ausdrücklich als Grundgesetze bezeichnet.

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Vor allem der polnische Aufstand machte die Mächte geneigt, die Unabhängigkeit Belgiens formell anzuerkennen. Das Prinzip der Intervention zur gewaltsamen Aufrechthaltung des legitimen" Besitzstandes und der innerstaatlichen Ordnung wurde durch das Londoner Protokoll vom 20. Dezember 1830 durchbrochen. Die Konferenz erkannte die Trennung von Belgien und Holland als vollendete Tatsache an und forderte den König Wilhelm auf, sich jeder feindseligen Aktion zu enthalten und die Waffen niederzulegen.

Inzwischen hatte sich der Nationalkongress, nachdem er durch die drei Grund entscheidungen die Fundamente gelegt hatte, auf denen er weiterbauen konnte, mit Eifer an die Durchberatung des Verfassungsentwurfs gemacht. Ausserdem war er als gesetzgebende Gewalt berufen, und die Massnahmen, welche er in letzterer Eigenschaft ergriff, waren provisorische, die grösstenteils hinfällig wurden mit dem Abschluss des Verfassungswerkes, mit dem Inslebentreten der in der Verfassung festgestellten Organisation2.

Die hochinteressanten Verhandlungen führten am 7. Februar

JUSTE, Congrès I 94. Pohl, Entstehung.

2 Vgl. VAUTHIER a. a. O..

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