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verhasster Minister mit Strenge durchgreifen und dann erst frei über Reformen befinden wollten, riet der Prinz zu Zugeständnissen, durch welche allein sich noch etwas retten lasse. Nur ungern gestattete der König eine Reise des den Belgiern sympathischen Thronfolgers nach Brüssel. Doch es gab keine Aussicht mehr auf friedliche Unterwerfung, bevor die wichtigsten belgischen Forderungen erfüllt waren. So sollte denn Waffengewalt entscheiden. In Holland wurden Truppen zusammengezogen, und Wilhelm befahl seinem zweiten Sohne Friedrich, nach Brüssel zu marschieren und die Pflichtvergessenen zum Gehorsam zurückzuführen. Hier hatte, seitdem mehrere drohende Aeusserungen des Königs bekannt geworden waren, die radikale Partei die Oberhand bekommen. Die zügellosen Volksscharen verschafften sich Waffen und Munition und nahmen Besitz vom Stadthause. Die ganze belgische Bewegung drohte fehlzuschlagen, aber das Heranrücken der holländischen Truppen und die dadurch äusserst ernst gewordene Lage rief die Menge einigermassen zur Besinnung zurück und bewahrte sie vor Ausschreitungen, wie sie im August vorgekommen waren. Namentlich die Führer hatten es zu weit getrieben, als dass sie im Falle freiwilliger Unterwerfung auf Gnade hätten rechnen können; sie mussten die Sache weiter treiben, sie hatten die Wahl zwischen Kriegsgericht und Freiheit.

Am 23. September 1830 dringt Prinz Friedrich von Oranien an der Spitze von 10 000 Mann in die unbotmässige Stadt Brüssel ein und kommt bis zum Park, ununterbrochen einem heftigen Kugelregen ausgesetzt. Zahlreiche Barrikaden werden errichtet, und immer grösser wird die Menge der kämpfenden Brüsseler, welche auch von aussen Zuzug erhalten. Die Hauptkolonne der Holländer hält sich im Park, ohne einen entscheidenden Schlag zu wagen.

Während der Kampf in Brüssel noch unentschieden ist, wirft sich am 24. September in der Frühe im Rathause eine Verwaltungskommission (Commission administrative) auf. „Depuis deux jours", so heisst es in ihrer ersten Proklamation, „Bruxelles est dépourvu de toute espèce d'autorité constituée; l'énergie et la loyauté populaire en ont tenu lieu; mais tous les bons citoyens comprennent qu'un tel état de choses ne peut durer, sans compromettre la ville et le triomphe d'une cause dont le succès dès hier a été assuré. Des citoyens, guidés par le seul amour du pays, ont ac

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cepté provisoirement un pouvoir qu'ils sont prêts à remettre entre des mains plus dignes, aussitôt que les éléments d'une autorité nouvelle seront réunis...." Die Mitglieder waren Emmanuel d'Hoogvorst, welcher die Brüsseler Bürgergarde kommandiert hatte, Rogier, Anführer eines Lütticher Hilfskorps, und Jolly, ein ehemaliger Offizier. Die nächste Aufgabe, welche sich die Kommission stellte, war naturgemäss die Leitung des Kampfes gegen den in der Stadt stehenden Feind 2. „Freiheit war die Parole, welche die Kommission ausgab, Freiheit von dem bisherigen Willkürregiment. Dieses sollte in der einen oder andern Weise enden. Ob man die Trennung der Verwaltung von Nord und Süd ertrotzen, ob man eine blosse Personalunion. herbeiführen, ob man schliesslich die Oranier gänzlich von Belgien ausschliessen sollte, darüber stellten die Mitglieder der Verwaltungskommission vorab keine Erwägungen an, dazu liess die Not der Zeit keine Musse. Am 26. September verkündigte die Kommission in einer Proklamation, dass sie vier neue Mitglieder kooptiert habe: de Mérode, Gendebien, van de Weyer, Nicolay. Ein Akt der Klugheit: nunmehr waren Führer der beiden grossen belgischen Parteien in der Kommission zu finden, Führer, die sich seit längerer Zeit beim Volke der grössten Achtung und Beliebtheit erfreuten. Alle Belgier, welche unter holländischer Fahne dienen, ruft die Kommission zurück. „Das Blut von Belgiern ist geflossen, und es fliesst noch auf Befehl desjenigen, dem ihr euren Eid geleistet habt. Dies edle Blut hat alle Bande zerrissen; die Belgier sind frei, wir entbinden sie jedes Eides 3." Das war schon eine deutlichere Sprache: die Kommission gab durch diesen Ruf zu den belgischen Fahnen die Losung zur Erkämpfung nationaler Unabhängigkeit, welche jedoch am 26. September noch keineswegs erstritten war; das Wort Unabhängigkeit fiel erst später.

Nach viertägigem, fruchtlosem Kampfe verzweifeln die holländischen Truppen an einem Siege über die begeisterten Patrioten, welche die Barrikaden besetzt halten. Da gibt in der Nacht vom 26. auf den 27. September Prinz Friedrich den Befehl zum Rück

T MOKE S. 592.

JUSTE, Charles Rogier S. 20: L'organisation de la résistance fut la préoccupation immédiate et constante des citoyens dévoués qui avaient pris possession de l'hôtel de ville. La lutte continua, sous leur direction...“ 3 JUSTE, Congrès I 39. Vgl. für die Geschichte des August und September 1830 den Bericht des „Brüsseler Augenzeugen" S. 5–144.

zug. Eine allgemeine Desorganisation war die Folge. Bald gab es in den Festungen keine Soldaten mehr zur Verteidigung. Noch wenige Tage, und das Land war frei. La révolution avait triomphé. La victoire eut son contrecoup dans les provinces: Louvain, Namur, les Flandres, le Hainaut et Liège suivirent l'élan de la capitale, et bientôt les autorités hollandaises ne conservèrent plus en Belgique qu'Anvers, Maastricht et Luxembourg1."

Am Abend des 27. September zog, aus der Verbannung zurückkehrend, unter dem Jubel des Volkes der erbitterte Feind des Oraniers, de Potter, in Brüssel ein. Die Verwaltungskommission ernannte ihn sofort zu ihrem Mitgliede und legte sich am 28. September zum ersten Male den Titel „Gouvernement provisoire de la Belgique" bei. Durch den Eintritt de Potters, des Lieblings der Belgier, wurde die Stellung der nunmehrigen „Regierung" bedeutend befestigt 2.

B. Rechtliche Würdigung.

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Die rechtliche Würdigung der bisher geschilderten Vorgänge bietet keine Schwierigkeiten. Solange sich die belgische Opposition innerhalb der (holländisch-) rechtlich erlaubten Grenzen hielt, hatte die holländische Regierung keinen Anlass zum Einschreiten. Die unaufhörlichen Klagen in Rede und Schrift, die „infamen" Petitionen an die Krone und die Anträge in den Generalstaaten waren gute, verfassungsmässig garantierte Rechte. Sobald aber die Grenze. überschritten und gar zum Ungehorsam gegen die Gesetze aufgefordert wurde, war das holländische Recht verletzt, und dieser Rechtsbruch wurde geahndet und musste, wenn die Regierung sich nicht selbst aufgeben wollte, durch Einkerkerung und Verbannung der Aufwiegler geahndet werden. Das Unternehmen des Hinwegräumens der alten Staatsgewalt kann juristisch naturgemäss nur beurteilt werden nach dem bestehenden Staatsrecht, nach dem Rechte des alten Staates". Denn es ist unmöglich, an diese Vorgänge den Massstab einer Rechtsordnung anzulegen, welche noch nicht vorhanden ist. Also ist der belgische Aufstand im August 1830 zu beurteilen nach holländischem Staatsrecht, unter dessen Herrschaft er sich vollzieht. Der Versuch, der bestehenden hollän

1 MOKE S. 593.

2 JUSTE, Congrès I 39.

3 Vgl. GEORG WEBER S. 827: „Getreu bis zur Infamie.“

4 V.

S. 585.

TREITSCHKE I 32f. GIRON S. 80 ff. LAVISSE-RAMBAUD S. 348f. MOKE

5 LABAND I 33.

dischen Staatsgewalt mit den Waffen in der Hand Zugeständnisse abzuzwingen oder gar ein Ende zu machen, ist Empörung gegen die Staatsgewalt, ein Verbrechen gegen den Bestand des holländischen Staates. Die Ausschreitungen und die Verwüstungen, welche das Volk anrichtete, unterstanden lediglich den holländischen Strafgesetzen. Denn die holländische Herrschaft auf belgischem Boden ist noch nicht vernichtet, und erst mit der Beseitigung dieser Herrschaft vom belgischen Gebiete endet die Geltung der ihre Aufrechthaltung bezweckenden Strafgesetze für die Belgier1. Somit wäre es nicht zu billigen, wenn man in dem Brüsseler Aufstand „eine Reihe staatsrechtlich nicht definierbarer Vorgänge" erblicken wollte 2.

Der Zustand, welcher auf die Brüsseler Augusttage und den Aufstand im übrigen Belgien folgt, ist keine Negation der holländischen Staatsgewalt, sondern nur eine Suspension derselben. Durch den Aufstand der Massen in den südlichen Provinzen wird die Tätigkeit der holländischen Behörden nach Lage der Dinge vielleicht nur unterbrochen 3. Es ist ein Uebergangszustand, während dessen es zweifelhaft erscheint, ob die vorläufig in ihrem Bestande nur erschütterte holländische Staatsgewalt sich im alten Umfange wird behaupten können oder nicht. Treffend führt Nothomb aus: „La période qui s'est écoulée depuis les journées d'août jusqu'aux journées de septembre offre un caractère indéfinissable: ce n'était ni l'ordre légal, ni l'insurrection." "Un mois entier les Belges se sont arrêtés sur le seuil de la légalité, face à face avec la révolution."

Staatsrechtlich ist auch der am 24. September 1830 im Stadthause zu Brüssel erfolgte Zusammentritt der Commission administrative ebenso zu charakterisieren wie der ganze Augustaufstand. Noch war eine starke holländische Streitmacht in der Stadt. Das holländische Staatsgebäude, soweit es auf belgischem Boden stand, war dem Einsturz nahe, aber gefallen war es noch nicht. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass d'Hoogvorst und seine Kollegen nichts anderes waren als Führer einer Empörung gegen die Staats

...

1 Vorzüglich ZOEPFL II 201. Vgl. JELLINEK, Staatslehre S. 327: „Die Tatsachen gewaltsamer Staatsumwälzungen . . lassen sich am Massstabe einer Rechtsordnung überhaupt nicht messen, andernfalls man die Geschichte nach Strafrechtsparagraphen beurteilen müsste." Der blosse Versuch der Staatsumwälzung steht nicht ausserhalb des Rechtsgebiets.

2 V. HERRNRITT S. 44.

3 V. HERRNRITT S. 44.

4 NOTHOME S. 39 und NoтHOMв 4me éd. S. 95,

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gewalt, dass sie sich eines Rechtsbruchs schuldig gemacht haben'. Die Männer, welche in den Brüsseler Septembertagen unter ihren Fahnen ihr Leben liessen, mag das belgische Volk als grosse Freiheitshelden, als Märtyrer verehren, vor dem Forum des Rechts sind sie Rebellen. Nach Staatsrecht ist der Versuch der Trennung einer Provinz vom Hauptstaate als Rebellion zu bezeichnen." „An sich ist eine Revolution immer Unrecht 3." Von berechtigter oder unberechtigter Revolution mag der Historiker reden, für den Juristen existiert ein solcher Unterschied in keinem Falle. „Die Frage, ob das Volk unter gewissen Voraussetzungen zur Revolution befugt sein könne, ist keine staatsrechtliche Frage, d. h. keine Frage, welche in einem Staate nach staatsrechtlichen Grundsätzen entschieden werden kann, weil jeder Staat auf die Voraussetzung gebaut ist, dass er ein solcher Zustand sei, in welchem die Revolution nicht denkbar ist, und weil die Revolution der direkte Gegensatz und das Ende des bisher bestehenden Staatszustandes ist. Durchaus unjuristisch ist die Ausführung bei Bluntschli in seiner Allgemeinen Staatslehre: „Zur Lossagung ist der Teil ausnahmsweise berechtigt, wenn seine dauernden und wichtigen Interessen von dem Staatsganzen, dem er angehört, nicht geschützt noch befriedigt werden, und er zugleich befähigt ist, für sich selber zu sorgen und seine selbständige Stellung zu behaupten. Nur wirkliche Not und unerträglich gewordenes Leiden gibt somit gegründete Veranlassung zu der Lossagung . . . Indem Bluntschli diese Sätze ausspricht, bekennt er sich zur naturrechtlichen Lehre, und der Vorwurf, welchen er der Unabhängigkeitserklärung von 1776 in dieser Beziehung macht, trifft ihn selbst nicht weniger. In der Proklamation vom 26. September erkennen die Mitglieder der Verwaltungskommission an, dass sie den Mittelpunkt einer revolutionären Bestrebung bilden, welche die holländischen Truppen aus dem Lande zu treiben sich zum Ziel gesetzt hat, ohne bislang die Oberhand bekommen zu haben. Insurgentenführer haben aber nicht die Machtvollkommenheit, andere jedes Eides gegen die Träger der bestehenden Staatsgewalt zu entbinden. Das heisst einen Akt der Souveränität vornehmen, und die besass die Verwaltungskommission nicht, welche

1 Ebenso NOTHOMB 4me éd. S. 38: Le fait de septembre n'était, dans son origine, qu'une insurrection contre la Hollande."

2 ULLMANN S. 65.

4ZOEPFL II 201.

3 V. TREITSCHKE I 132.

5 BLUNTSCHLI, 5. Aufl. S. 315f. S. namentlich auch S. 316 n. 3.

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