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I. CAMALDOLI.

A. DER HL. ROMUALD UND SEIN ORDEN.

Auf dem tannenumrauschten Scheitel der Apenninen, wo der trunkene Blick vom schimmernden Spiegel der Adria und von den Dächern Ravennas im Osten über die Pratomagnokette hinweg bis Pisa zu den blitzenden Wogen des Tyrrhenischen Meeres schweift, tauchten eines Tages, es war im Jahre 1012, ehrwürdige Mönchsgestalten mit langen Bärten und weißen Kutten auf. Bald griffen sie zu Axt und Spaten und zimmerten sich ärmliche Zellen rings um ein schmuckloses Bethaus, um, fern dem Getümmel der Welt, in andachtsvoller Waldeinsamkeit, als Einsiedler ein nur mehr Gott und der Sorge um ihr Seelenheil gewidmetes Leben zu führen. Es war der hl. Romuald mit seinen Gefährten, der in Camaldoli im Sprengel Arezzo die Siedelung gründete, welche dem von ihm ausgehenden Zweige des Benediktinerordens den Namen gab. Zu Ravenna 952 aus herzoglichem Geschlechte geboren1, genoß er sein junges Leben in vollen Zügen, bis er durch ein erschütterndes Ereignis in ungeahnte Bahnen gedrängt ward. Sein Vater Sergius lag mit einem Verwandten um eines Grundstückes willen in Fehde, welche er nach damaligem Rechte auf dem Wege des Gottesurteils durch Zweikampf zum Austrage brachte. Er streckte den Gegner zu Boden und gewann das Feld, verlor aber den Sohn, welchen er zur Teilnahme an dem blutigen Entscheidungskampfe gezwungen hatte. Obschon er nur als Zuschauer zugegen gewesen war und das Schwert nicht gezückt hatte, eilte Romuald, damals zwanzig Jahre alt, in das Kloster St. Apollinare in Classe bei Ravenna, um hier die vierzigtägige Buße zu leisten, welcher sich nach kirchlicher Vorschrift alle zu unterziehen hatten, die auf Befehl ihres Herrn oder im Kriege jemanden getötet hatten3. Romuald oblag seiner Buße mit größter Strenge, hatte aber keineswegs im Sinne, im Kloster zu bleiben, obschon ihm ein Laienbruder eindringlich ins Gewissen redete, der Welt zu entsagen und in den Orden ein1 Schnitzer, Peter Delfin

zutreten. Da alles Zureden nichts half, so machte er ihm eines Tages frohlockend den Vorschlag: „Wenn ich dir den hl. Apollinaris" der in der Kirche beigesetzt war,,in leiblicher Gestalt zeige, so daß du ihn sinnenfällig zu sehen vermagst, was bekomme ich dafür?“ „Feierlich verpflichte ich mich," erwiderte Romuald, ,,daß ich, sobald ich den hl. Märtyrer wirklich gesehen habe, nicht länger in der Welt bleiben will." Der Heilige stellte sich denn auch in der folgenden Nacht pünktlich ein. Er kam unter dem Marienaltare inmitten der Kirche hervor, blendender Lichtglanz erfüllte mit Tageshelle das Gotteshaus; mit seinen bischöflichen Gewändern angetan, inzensierte Apollinaris mit goldenem Rauchfaß alle Altäre und verschwand dann wieder, von wo er gekommen war. Am nächsten Tage forderte der Laienbruder den Büßer auf, sein Versprechen zu halten, und als dieser auch jetzt noch nichts davon wissen wollte, bemühte sich der Heilige die Nacht darauf sogar noch ein zweites Mal'. Nun erst war das Eis gebrochen. Überwältigt von solcher himmlischer Auszeichnung, welche er für einen deutlichen Beweis der göttlichen Liebe hielt, brach Romuald in einen Strom von Tränen aus, warf sich den Mönchen zu Füßen und bat kniefällig um das Ordenskleid, das sie ihm aus Furcht vor seinem gewalttätigen Vater zunächst nicht zu geben wagten und erst auf ausdrücklichen Befehl des Erzbischofs Honestus gewährten. So war Romuald Mönch in St. Apollinare geworden. Aber er blieb es nicht lange.

Das Benediktinerkloster St. Apollinare, um 580 von Erzbischof Johannes von Ravenna an der Seite der um einige Jahrzehnte älteren Kirche, welche mit ihren feierlich-ehrwürdigen Mosaiken und herrlichen Formen noch heute das Auge des Beschauers entzückt, in Classe, dem ehemals berühmten Hafen Ravennas, erbaut und im Laufe der Zeit mit Zuwendungen aller Art freigebig bedacht, hatte unter den furchtbaren Verheerungen der Ungarn und Sarazenen und noch mehr unter der gewissenlosen Verwaltung habsüchtiger Äbte aufs schwerste gelitten und bot nun ganz das trostlose Bild so vieler Klöster in Deutschland, Frankreich und Italien: die Klosterzucht war gänzlich zerrüttet, die Ordensregel vergessen, das gemeinsame Leben aufgegeben, dafür aber Schmausereien, Gelage und Ausschweifungen aller Art an der Tagesordnung. Wehe dem, der es wagte, an die strengen Satzungen der Väter zu erinnern, rohe Mißhandlungen, wenn nicht ein grau

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Kloster St. Apollinare in Classe bei Ravenna

Aus Mittarelli-Costadoni, Annales Camaldulenses, T. VII. Venetiis 1762

samer Tod waren sein sicheres Los'. Das erfuhr auch Romuald, als er nicht aufhörte, das zuchtlose Treiben seiner Mitbrüder mit ernsten Worten zu rügen. Ergrimmt über die Vorwürfe des jungen Novizen, beschlossen sie, ihn vom Söller des Klosters herabzuwerfen, erteilten dann aber, als der Herzogssohn, ihrem mörderischen Anschlage glücklich entronnen, die Erlaubnis zum Austritte aus dem Kloster erbat, um einem vollkommeneren Leben zu oblie gen, mit größter Freude ihre Einwilligung.

Die drei Jahre, welche Romuald in St. Apollinare verbracht (972-75), und die Erfahrungen, welche er hierbei gesammelt hatte, entschieden über sein ferneres Leben. Er hatte sich überzeugt, daß das Leben im Kloster unter den nun einmal gegebenen Verhältnissen, weit entfernt, die innere Erbauung zu fördern, im Gegenteile die größten Gefahren in sich berge, und daß man, um der Welt zu entrinnen, vor allem dem selbst zur Welt entarteten Kloster entfliehen müsse. So schied er aus dem Kloster und nahm zur Einsiedelei seine Zuflucht. In den Trümmern der längst zerfallenen Stadt Heraklea, unweit Venedig, hauste der Einsiedler Marin und führte ein Leben härtester Abtötung. Tag für Tag betete er die hundertfünfzig Psalmen ab; ein bißchen Brot, eine Handvoll Bohnen oder sonst ein mageres Gemüse bildete seine einzige Nahrung. Zu ihm begab sich Romuald und trug ihm die Bitte vor, als sein Schüler aufgenommen zu werden (975). Das ward ihm zugestanden, doch ging ihm, um mit dem Meister die täglichen Psalmen aufsagen zu können, die Kunst des Lesens ab, das er im Schweiße seines Angesichts bei Marin erst lernen mußte. Dem Gebrauche der Zeit gemäß sparte dieser hierbei mit Schlägen nicht. Bei jedem Versehen versetzte er dem Jünger einen Streich auf die linke Gesichtshälfte, bis dieser seinem Wüten mit dem Ersuchen Einhalt gebot: ,,Bitte, Meister, schlage mich von nun an auf die rechte Seite, denn auf der linken beginne ich das Gehör schon ganz zu verlieren10."

Romuald wäre wohl samt seinem Lehrer gleich so manchen anderen einsamen Klausnern spurlos in der Wildnis verkommen und verschollen, wäre nicht ein Ereignis eingetreten, welches ihn mit einem Schlage in eine ganz neue Welt versetzte. Im Jahre 976 fiel zu Venedig der Doge Peter Candidian IV. einem Aufstande zum Opfer, bei welchem Peter Orseolo I. zu seinem Nachfolger ausgerufen wurde, ein besonders ob seiner Wohltätig

ABT GUARIN VON S. MICHAEL

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keit gegen die Armen, Mönche und Geistlichen angesehener Mann". Bei ihm fand auch der Abt Guarin von S. Michael zu Cusan im südfranzösischen Sprengel Perpignan gastliche Aufnahme, als er auf seiner Pilgerfahrt zu den Heiligtümern der Christenheit auch nach Venedig kam, um am Grabe des hl. Evangelisten Markus zu beten. Durch den noch immer starken Anhang seines ermordeten Vorgängers an Leib und Leben gefährdet12, beschloß Peter Orseolo auf den Rat des weisen Abtes Guarin, sich der Rache seiner Gegner durch heimliche Flucht nach dem fernen, venezianischen Nachstellungen entrückten Pyrenäenkloster Cusan zu entziehen; sein Neffe Johannes Gradenigo sowie sein Schwiegersohn Johannes Morosini, beide nicht weniger bedroht, wollten ihm in die frei gewählte Verbannung folgen. Von Orseolo ins Vertrauen gezogen, faßten auch Marin und Romuald den Entschluß, nach S. Michael mitzuziehen. Marin hatte wohl längst erkannt, daß er, im geistigen Leben selbst ohne Erfahrung und Halt, seinem Schüler gegenüber am Ende seines Lateins sei und der Führung durch die sichere Hand eines geschulten Geistesmannes bedürfe; Romuald aber mochte sich längst nach einer Gelegenheit sehnen, die klaffenden Lücken seiner höchst mangelhaften Bildung wenigstens notdürftig auszufüllen, und wo hätte dies leichter geschehen können als in Cusan unter der Leitung seines ob seiner Gelehrsamkeit ebenso13 wie ob seiner Frömmigkeit gefeierten Abtes Guarin! In der Nacht auf den 1. September 978 bestieg der Doge mit seinen beiden Verwandten und mit den drei heiligen Männern die Gondeln, welche sie nach dem Festlande brachten, von wo sie auf bereitgehaltenen Pferden in rasender Schnelligkeit über Verona und Mailand nach S. Michael jagten. Das erste, was hier ihr Auge auf sich zog und blendete, war die prachtvolle Basilika, welche, soeben erst vollendet und eingeweiht (974), im strahlenden Glanze ihrer marmornen Säulen und ihres in verschwenderischer Fülle angebrachten Schmuckes aus Gold und Edelstein prangte1. In ihr kam die außerordentliche Bedeutung zum Ausdrucke, welche dem Kloster durch seinen von Tag zu Tag steigenden Reichtum sowie durch seine beherrschende Stellung als Hochburg der kluniazensischen Reformbewegung im südlichen Frankreich eignete. Cusan war aber auch Mittelpunkt des wissenschaftlichen Lebens, namentlich blühten hier die mathematischen und astronomischen Studien, worin der

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