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daß man im nüchtern rechnenden Venedig die Aussichten eines abendländischen Krieges gegen die Türken gar nicht für aussichtslos hielt, daß also das von Karl VIII. als Endziel seines italienischen Zuges bezeichnete türkisch-palästinische Unternehmen in den Augen der Zeitgenossen keineswegs als so abenteuerlich und phantastisch erschien, wie es den Spätern vorkam. Über die Maßregeln, welche die Verfasser zur Bekehrung der Irr- und Ungläubigen vorschlagen, ein Gemisch gemeiner Pfiffigkeit und roher Gewalttätigkeit, ist kein Wort zu verlieren; sie atmen noch keinen Hauch neuzeitlichen Geisteswesens und sind der getreue Niederschlag augustinisch-mittelalterlicher Gewissensknechtung. Von den Mitteln, welche zur Besserung des kirchlichen Lebens empfohlen werden, sehen wir manche, wie die Hebung der Vorbildung des Klerus, die sonntägliche Predigt über die Evangelien, Gebote und Glaubenslehren vom Konzile von Trient, andere, wie die Herstellung eines alles Veraltete ausmerzenden. nur das geltende Recht enthaltenden kirchlichen Gesetzbuches erst in den jüngsten Jahren durch den Codex Juris Canonici verwirklicht. Ganz neuzeitlich klingen die Forderungen nach Lesung der biblischen Abschnitte der Liturgie in der Volkssprache, die gegenseitige Erschließung und Benützung der Bibliotheken zunächst wenigstens durch die Orden und das Ausleihen der Bücher gegen Empfangsschein. Durch die auf Grund eigener Wahrnehmung der Einsiedler entworfene grauenhafte Schilderung der Ausdehnung des römischen Dirnenwesens werden die so gern als boshafte Übertreibungen verdächtigten Angaben Infessuras" und Savonarola s18 nur zu sehr bestätigt und die beliebten Ausflüchte abgeschnitten, als seien die bösen Fremden die Hauptvertreter der Sittenlosigkeit19 und andere Städte, wie Genua, Venedig, Paris, auch nicht besser gewesen20. Daß sich solche unglaublichen Zustände unmittelbar unter den Augen der Päpste entwickeln und so lange behaupten konnten, bildet für diese eine ewige Schmach. Über die sonstigen schweren Schäden der römischen Kurie wie der höheren und niedrigen Geistlichkeit gleiten die Verfasser rasch hinweg; nicht, wie es meist geschah, von Rom und der Entartung des Weltklerus, sondern von der Verrottung des Ordenswesens leiten sie das Verderben der Kirche ab, wie sie sich von seiner Erneuerung auch eine Erneuerung des kirchlichen Lebens versprechen, wobei sie sogar vor dem Antrage nicht

UNAUSFÜHRBARKEIT DER REFORMVORSCHLÄGE

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zurückschrecken, die Konventualen durch Unterbindung der Gelübdeleistungen vollständig zu unterdrücken. Mit zahllosen Zeitgenossen setzten sie die höchsten Hoffnungen auf die allgemeinen Konzilien, die doch das Elend nur noch vermehrt, statt verringert hätten, ganz abgesehen von der ungeheueren Schwierigkeit, sie in dem von der Denkschrift vorgesehenen Umfange zu versammeln. Im ganzen betrachtet, waren die einsiedlerischen Reformentwürfe ganz unausführbar; da sie Unmögliches forderten, so erlangten sie nichts. Die Juden, Ketzer und Ungläubigen bekehren, die Türken mit Krieg überziehen, alle fünf Jahre ein allgemeines Konzil abhalten, das Ordenswesen von Grund aus umgestalten, die Kurie säubern, den Weltklerus verjüngen und die Laien bessern das waren Aufgaben so riesiger Art, daß sie selbst von einer Persönlichkeit mit übermenschlicher Kraft, heldenmütiger Entschlossenheit und himmlischer Einsicht nicht zu lösen waren, geschweige von einem genußsüchtigen Schwächling wie Leo X., welcher für lustige Possen, schlüpfrige Schauspiele und vergnügliche Tierhatzen schwärmte, der Kirchenreform aber verständnislos und gleichgültig gegenüberstand, seinem Vorsatze getreu, das Papsttum froh zu genießen, nachdem Gott es ihm geschenkt habe". Ebensowenig wäre in den Augen der Einsiedler Julius II. der Mann gewesen, das ihnen vorschwebende ungeheuere Werk zu vollbringen. Sie haßten diesen Papst. Sie haßten in ihm als gute Venezianer den Urheber des furchtbaren Krieges gegen ihre Vaterstadt. Sie bekämpften ihn aber auch grundsätzlich vom rein kirchlich-religiösen Standpunkte aus, da sie das Papsttum als religiöse Einrichtung mit religiösen Maßstäben gemessen wissen wollten und es als Wahnwitz erachteten, als großen Papst einen Kirchenfürsten zu feiern, der seine Hauptpflicht, die Sorge um das Seelenheil seiner die ganze Menschheit umfassenden Herde, um ein paar elender Festungen oder Landstriche willen gröblich vernachlässigte. Sie dachten gar nicht daran, daß etwa ein Ersatz hierfür in den künstlerischen Verdiensten des Papstes gelegen sein könnte, wie sie auch in ihren an Leo X. gerichteten Mahnungen künstlerische Bestrebungen mit keiner Silbe erwähnten, sondern immer nur die höchsten religiösen Aufgaben im Auge hatten, deren Erfüllung sie in maßloser Überschätzung seiner Begabung ihm und nur ihm zutrauten. Einen Mann wie Johannes Medici mit Alexander

dem Großen oder auch nur mit Urban II. zu vergleichen und seinen kränklichen Bruder Julian mit Gottfried von Bouillon, das war in der Tat die schlimmste Entgleisung, welche den Einsiedlern je widerfahren konnte. Die überschwenglichen Lobsprüche, mit welchen sie einen Papst überhäuften, der ihre wohlgemeinte lange Denkschrift ohne Zweifel niemals zu Ende las, lassen sich, will man in ihnen nicht den Ausdruck widerlicher Lobhudelei erblicken, nur mit Rücksicht auf den Umstand einigermaßen verstehen und entschuldigen, daß sie in Sachen der Reform von Camaldoli ein Entgegenkommen bei ihm gefunden hatten, von welchem sie nun kühne Schlüsse auf seinen Reformeifer überhaupt zogen. Und ihre Schrift ward überdies schon in den ersten Wochen nach seiner Thronbesteigung ausgearbeitet, zu einer Zeit also, in welcher die hochgespannten Erwartungen, welche man in all den Kreisen, die den Neugewählten nicht näher kannten, auf ihn baute, durch die rauhe Wirklichkeit noch nicht zuschanden gemacht waren. Als Quirin bald nachher nach Rom kam und im Vatikan unter einem Dache mit Leo X. wohnte, da mochte er sehr bald erkennen, daß dieser der Mann leider nicht war, für welchen er selbst und so viele andere ihn gehalten hatten. Da mochte er seine auf ihn gesetzten Reformhoffnungen bedeutend zurückschrauben, wenn nicht für immer begraben. Mit Denkschriften, wie sie auch Johann Franz Pico von Mirandula23 und zuvor schon der Einsiedler Angelus von Vallumbros a" einreichten, war so wenig auszurichten wie mit billigen Konzilsbeschlüssen; hätten weise Verordnungen das Heil der Kirche geschaffen, so hätte diese allzeit als irdisches Paradies geblüht. So wie die Dinge lagen, war der einzige Weg zu wirklicher Besserung doch eben nur der, welchen zuvor schon Savonarola beschritten hatte und nach dem allzu frühen Tode Quirins auch Justinian selbst einschlug: Die praktische Reform, welche vom kleinsten Kreise ausging und sich langsam zwar, aber unaufhaltsam, weiter ausbreitete, mit der eigenen Person und mit einer zunächst geringen, aber immer mehr anwachsenden Schar getreuer Jünger in einem Kloster, in einer Stadt, in einer Landschaft begann, und dann wie ein Sauerteig die ganze Masse der Kirche durchdrang. Zur Ausbildung einer den großen Umschwung mit unwiderstehlicher Macht nach sich ziehenden Reformstimmung hatte schon Savonarola mit der hin

DIE PRAKTISCHE REFORM JUSTINIANS

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reißenden Gewalt seiner Persönlichkeit und Beredsamkeit erfolgreich gewirkt. Sein furchtbarer Tod hatte der hehren Sache der Kirchenreform, welcher sein Herz sein ganzes Leben lang ausschließlich schlug, nicht nur nicht geschadet, sondern im Gegenteile erst recht Vorschub geleistet, da er die Aufmerksamkeit weitester Schichten über die Mauern von Florenz hinaus auf sie lenkte und die Reformsehnsucht verstärkte und ausdehnte. Sein Wort hatte nicht nur in S. Marco und nicht nur in Florenz, sondern auch in anderen Städten Italiens, und ganz besonders in Venedig gezündet, wo seine Schriften und Predigten immer wieder gedruckt wurden und Auflagen um Auflagen erlebten25. Aus Venedig kamen Quirin und Justinian, und als dieser nach dem Hinscheiden seines unvergeßlichen Freundes das lässige Camaldoli Delfins verließ, um dem Orden Romualds einen neuen Zweig einzupfropfen", trug mit seinem bewunderungswürdigen Buß. eifer auch er zur Ausbreitung jener Reformstimmung bei, in welcher nicht nur die von ihm angeregten Stifter des Kapuzinerordens, sondern auch die mit ihm aufs innigste befreundeten Cajetan von Tiene und Johann Peter Carafa, der spätere Paul IV., beide die kräftigsten Säulen der segensreich aufblühenden Bruderschaft der göttlichen Liebe zu Rom2, sowie andere ausgezeichnete Männer und Frauen lebten und schwebten. Mit dem V. Laterankonzile hatte diese ganze Bewegung nicht das Geringste zu tun28; sie hatte längst eingesetzt, ehe das Konzil tagte, das von allem tieferen religiösen Geiste vollkommen verlassen war. Aber auch diese neuen fruchtbaren Pflanzungen wären wohl nicht lange gediehen, sondern in der versengenden Sonnenglut des allgemeinen Verderbens sehr bald verdorrt, hätte nicht das in seinen religiösen Wirkungen gar nicht zu überschätzende grauenhafte Ereignis der Eroberung und Plünderung Roms (6. Mai 1527) 2o die Geister nicht nur in der Ewigen Stadt selbst, sondern in ganz Italien aufs tiefste erschüttert und zu jenen alten Verheißungen Savonarolas zurückgelenkt, die der römischen Kirche mit erbarmungsloser Züchtigung drohten, auf welche dann die Erneuerung folgen müsse. Nun hatte die Schicksalsstunde geschlagen, ein Schauder ging durch die katholische Welt. Und nun war auch die Reform allen Schwierigkeiten, allen Hindernissen zum Trotz, nicht mehr aufzuhalten.

VII. DELFIN UND SAVONAROLA

A. DIE BRIEFE.

In die vierunddreißig Jahre, während welcher Delfin an der Spitze seines Ordens stand (1480-1514), fiel auch die Zeit der Wirksamkeit Savonarolas in Florenz, und da der General, sofern er nicht eben auf Reisen war, entweder in der unweit der Arnostadt gelegenen heiligen Einsiedelei oder in einem der vier Klöster seines Ordens zu Florenz selbst weilte, so hatte er die beste Gelegenheit, den berühmten Prediger nicht nur aus nächster Nähe zu beobachten, sondern auch in persönliche Fühlung mit ihm zu treten und in dem hitzigen Streite, welcher um ihn entbrannte, für oder wider ihn Stellung zu nehmen. Delfin und Savonarola welcher Gegensatz! Nicht leicht waren grundverschiedenere Naturen auf so engem Raum nebeneinander tätig. Savonarola durch und durch religiös gestimmt, von früher Jugend an auf nichts so sehr wie auf Neubelebung der inmitten einer vollständig entarteten Kirche verschmachtenden Religion bedacht; Delfin, der Weltmann in der Kutte, der ein behagliches, durch Ordenssorgen nicht allzu stark beschwertes Leben den heißen Kämpfen um die Kirchenreform, welche er gern anderen überließ, bei weitem vorzog. Savonarola, der hinreißende Kanzelredner, welcher mit der unwiderstehlichen Gewalt seines zündenden Wortes die Gemüter entflammte; Delfin, der trockene Bücherwurm, welcher der Gabe mündlicher Beredsamkeit gänzlich ermangelte und nur über eine gefällige Feder und gewandte Umgangsformen verfügte, um auf andere zu wirken. Savonarola, der stahlharte, unbeugsame Charakter, der sich weder durch Lockungen noch durch Drohungen des bewunderten Lorenzo de' Medici, noch durch den Zorn eines verruchten Papstes einschüchtern ließ, sondern als unbestechlicher Domini canis dem einen wie dem andern die Zähne wies; Delfin, der geschmeidige Höfling, welcher sein Leben

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