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aber von der Kirchenreform war in dem langen Briefe bezeichnenderweise mit keinem Worte die Rede. Es war, als habe sich nach dem gänzlichen Scheitern so vieler Hoffnungen ein Gefühl dumpfer Ergebung in das Unabänderliche seiner Seele bemächtigt. Sechs Päpste hatte er erlebt, aber zur kirchlichen Erneuerung hatte keiner etwas Nennenswertes getan, die doch das dringendste und heiligste Anliegen der Christenheit bildete.

Er selbst hatte ehedem der Anschauung gehuldigt, aus keinem anderen Grunde stehe es so schlecht um die Christenheit, als weil schon so lange kein allgemeines Konzil mehr stattgefunden habe, und auch der Kardinal Piccolomini, der spätere Pius III., hatte sich in mündlichen Unterredungen mit ihm im selben Sinne geäußert. Der Not gehorchend, nicht dem eigenen Triebe, hatte dann zwar Julius II. 1512 das V. Laterankonzil versammelt, welches Leo X. fortsetzte; Delfin selbst war dem aus acht Kardinälen, zehn Bischöfen und dem Karmelitengenerale zusammengesetzten Ausschusse zur Reform der Kurie und ihrer Beamten beigesellt worden. Er beteuerte, entschlossen zu sein, seine Einwilligung nur Dingen zu geben, welche zur Ehre Gottes und zur Stärkung der Kirche gereichten. Doch konnte er, von seinem hartnäckigen Gichtleiden gequält und durch mancherlei Amtspflichten verhindert, den Sitzungen nicht regelmäßig anwohnen, und als er in den kitzeligen Verhandlungen über die Ausschreitungen der Kurialbeamten und die Herabsetzung ihrer Bezüge sein Gutachten schriftlich einreichte, mußte er selbst bekennen, er verstehe nicht, wie man hier eingreifen solle, da das kirchliche Recht alles simonistische Geben und Nehmen untersage, und die Konzilien von Konstanz und Basel die Schreiber und Abbreviatoren auf ihr Gehalt beschränkten, mit dem sich diese eben niemals begnügen wollten. Von einer weiteren Tätigkeit Delfins auf dem Konzil ist nicht mehr die Rede, das ja ohnehin ergebnislos im Sande verlief. Von der ungeheuren Tragweite der mächtigen Bewegung, die sich in Deutschland entfesselt hatte, hatte er natürlich keine Ahnung; er besaß auch keine von den Schriften M artin Luthers, deren Verkauf den Buchhändlern verboten seib

Zur Zeit Delfins rang die Welt nach neuen religiösen Idealen. die sich unter dem Schlagworte „Reform“ verbargen. Was hatte er zu geben? Nichts. Er war General eines zwar nicht großen,

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aber immerhin wenigstens in Italien geschätzten Ordens und konnte manches zur kirchlichen Erneuerung beitragen, soferne er sie vor allem bei seinen eigenen Untergebenen verwirklichte. Wir sahen aber bereits, wie kläglich er scheiterte, und wie kümmerlich es überhaupt um seine Reformvorstellungen bestellt war, welche sich für seinen Orden auf Wahrung seiner Unabhängigkeit, für die Kirche auf Herstellung ihrer Freiheit von weltlichen Lasten beschränkten. Den tiefen Wunden der Christenheit stand er ratund hilflos gegenüber; er erwartete immer alles nur von den anderen, selbst Hand anzulegen, fiel ihm nicht ein. „,Feiger Anbeter jeglicher Macht und jeglichen Einflusses", der nicht einmal seinen Namen in einer Schrift gegen die römischen Greuel duldete, erschöpfte er sich zeitlebens in niedrigem Schweifwedeln vor den Großen der Erde und konnte sich sogar vor einem so hoffnungslos verkommenen Manne wie Alexander VI., „dem Christus des Herrn", nicht tief genug neigen. Zur Entschuldigung gereichte es ihm freilich, daß er mit seiner Gesinnung durchaus nicht allein stand. So wie er dachten und handelten zur damaligen Zeit unzählige seiner Berufsgenossen, bis zu den höchsten kirchlichen Stellen hinauf pflichtvergessene Sionswächter, welche zwar mit dem Munde stets nach Reform seufzten, vor jedem ernstlichen Schritt dazu aber aus Angst um ihren Geldbeutel erzitterten. So war an eine Neugeburt der Kirche aus sich selbst heraus unter gewöhnlichen Verhältnissen nicht zu denken, und es schien sich, wenn auch in anderem Sinne, die Prophezeiung des hl. Bene dikt erfüllen zu wollen: ,,Rom wird an sich selbst zugrunde gehen“,,Roma in semetipsa marcescet."

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DELFINS RATLOSIGKEIT

B. QUIRIN UND JUSTINIAN.

Wie Quirin und Justinian an religiösem Geiste und kirchlichem Eifer turmhoch über Delfin standen, so ragten auch ihre Vorschläge zur Reform der Kirche weit über alles hinaus, was ihr General jemals hierüber zu äußern wußte. Dieser ließ sich, so oft er auch den Wunsch nach kirchlicher Erneuerung wiederholte, über die Einzelheiten ihrer Durchführung überhaupt nie des näheren aus, sondern beschränkte sich auf dürftige An

deutungen, in seiner oberflächlichen Art außerstande, sich über Ziel und Wege klare Rechenschaft zu geben. Die Einsiedler dagegen wußten genau, was sie wollten, und gaben die Mittel, welche ihrer Überzeugung gemäß anzuwenden waren, in einer sorgfältig ausgearbeiteten, ausführlichen Denkschrift1 an, welche sie LeoX. bald nach seiner ,,wunderbaren" Erhebung vorlegten. In sechs Abschnitten handelten sie 1. von der Gewalt und Amtspflicht des Papstes, 2. von der Bekehrung der Juden und Götzendiener, 3. von der Bekehrung oder Unterwerfung der Mohammedaner, 4. von der Wiedervereinigung der morgenländischen Kirchen mit der abendländischen, 5. von der Reform aller dem Papste ergebenen Christen und 6. von der Erweiterung der weltlichen Herrschaft der Kirche durch die Länder der Ungläubigen.

1. Von der Machtfülle des Papstes hatten die beiden Freunde die höchste Vorstellung. Ist er ja doch der Stellvertreter Gottes auf Erden, von welchem Petrus nach Matth. 16, 16 ff. und Luc. 22, 31 mit der Sorge über seine ganze Herde betraut ward. Mit Recht trägt daher sein Nachfolger die dreifache Krone, das Sinnbild seiner Herrschaft über alle drei Erdteile. Als Stellvertreter Gottes auf Erden hat der Papst die Pflicht, für das Seelenheil aller Menschen zu sorgen, er darf sich daher mit dem bloßen Namen und mit dem eitlen Ruhme irdischer Herrlichkeit nicht begnügen, noch sein Leben in Schwelgerei, Müßiggang und Trägheit verbringen, Lastern, von welchen ja Leo X. ohnehin nie etwas wissen wollte. Sein Streben darf auch nicht, wie die Einsiedler mit einem Seitenhiebe auf Julius II. betonen, auf die Eroberung irdischer Länder gerichtet sein; nicht Städte und Festungen unter die Botmäßigkeit der römischen Kirche zu bringen, sondern Seelen für den Himmel zu gewinnen, muß ihm am Herzen liegen; denn eine einzige Menschenseele wiegt alle Reiche der Welt auf. Der Papst, und er allein, hat das Recht, ein allgemeines Konzil zu berufen, wie Quirin in einer eigenen Abhandlung zeigt. Die Kaiser können ein solches nur im Auftrage und mit Zustimmung des Papstes versammeln, widrigenfalls es überhaupt kein allgemeines Konzil wäre. Ein solches kann aus vielen Gründen zusammentreten, namentlich auch zur Zügelung eines Papstes, welcher sein Amt mißbraucht, sich der Simonie schuldig macht oder ein schandbares Leben führt; der Art war das vom Kaiser Otto I. veranstaltete Konzil der italienischen Bischöfe gegen

BEKEHRUNG DER JUDEN

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Johann XII. (963). Die allgemeinen Konzilien stehen nicht über, sondern unter dem Papste, empfangen auch ihre Gewalt nicht unmittelbar von Christus, sondern vom Papste, der seinerseits seine Vollgewalt über die Gesamtkirche und die Konzilien vom Erlöser selbst hat. Quirin erscheint daher als entschiedener Vertreter des Universalprimates und strengen Papalsystems.

2. Juden und Götzendiener kommen darin überein, daß sie Christen weder sind, noch je waren, nur daß die ersteren aus Hartnäckigkeit, die letzteren aber nur aus Unwissenheit im Unglauben verharren. Somit muß auch ihre Behandlung verschieden sein. Um den Juden zum ewigen Heile zu verhelfen, komme man ihnen möglichst entgegen, indem man den reichen nach ihrer Bekehrung ihre Reichtümer beläßt, mögen sie diese gleich zu Unrecht durch Wucherzinsen erworben haben. Arme Juden aber kann man dadurch gewinnen, daß man ihnen für den Fall ihres Übertrittes Unterstützungen zusichert, denn man kann die Schätze der Kirche nicht besser als zum Heile unsterblicher Seelen verwenden. Bleiben aber diese gütlichen Mittel erfolglos, so darf man sie zwar nicht mit äußerer Gewalt zur Bekehrung zwingen, wohl aber zu strengeren Maßregeln greifen. Diese könnten darin bestehen, daß man ihnen alle Zinsen von Christen wie Handel und Gewerbe untersagt, höhere Abgaben auferlegt, leinen langen Aufenthalt am selben Orte gestattet, den Besitz ihrer Synagogen wie die Ausübung ihres Gottesdienstes verwehrt und das Tragen eines eigenen Kennzeichens zur Pflicht macht. Das sind, erklären die Verfasser, keine ungerechten oder gewalttätigen Maßregeln, sondern nur Vorkehrungen zur Brechung ihrer Herzenshärte, wozu dann noch die Unterweisung in der Heiligen Schrift treten könnte, denn sie sind in Sachen des christlichen Glaubens voller Unwissenheit und halten uns Christen gar noch für Götzendiener. Überdies sollte fleißiger für sie gebetet und das Gebet für sie mit reichen Ablässen ausgestattet werden. Nützt dann aber alles nichts, so mag ihnen eine Frist von einigen Jahren bewilligt werden, binnen welcher sie sich entweder zu bekehren oder das Land unter Todesstrafe zu verlassen haben, da sie dem christlichen Volke, vom Wucher ganz abgesehen, auch noch durch schnöden Aberglauben, Traumdeutereien und Wahrsagereien schweren Schaden zufügen.

Leichter als die Juden sind erfahrungsgemäß die Heiden zu bekehren. Denn als in den letzten Jahren die katholischen Könige des Westens ihre Schiffe aussandten, da wurden Inseln oder vielmehr förmliche neue Erdteile entdeckt, deren Bewohner Sonne, Mond und verschiedene Tiere anbeteten, sich aber in großer Menge bekehrten, sobald ihnen das Christentum gepredigt wurde. Als ich, Peter Quirin, als venezianischer Gesandter in Spanien weilte, ward mir allgemein versichert, die einzige Schwierigkeit, welche der Bekehrung dieser Völker im Wege stehe, sei die Unkenntnis der Sprache; sobald man ihnen Christus in ihrer Muttersprache verkünde, so eilten sie nicht nur willig zur Taufe herbei, sondern drängten sich sogar in den Ordensstand, schon jetzt gebe es dort sechzehn Klöster nach der Regel des hl. Franz. Noch viel mehr als der König von Spanien muß sich nun aber der Papst dieser neu entdeckten Völker annehmen, indem er vor allem für Missionäre sorgt. Mögen auch die Orden in ihrem Eifer vielfach erkaltet sein, so gibt es doch immer noch Männer, die freudig bereit sind, dem Rufe des Papstes zu folgen. Ja wir selbst, Quirin und Justinian, würden es geradezu als eine Auszeichnung betrachten, wenn wir mit einer solchen Sendung betraut würden'. Der Papst mag dann besonders auch dafür sorgen, daß die höheren Schulen Sprachen zur Ausbildung von Glaubensboten betreiben, namentlich das Hebräische, Arabische, Lateinische und Griechische. Es wäre endlich auch gut, junge Leute aus fernen Landen herbeizurufen und in Klöster zu verteilen, auf daß sie so unsere Sprache erlernen und uns in der ihrigen unterweisen.

3. Schwieriger ist die Aufgabe, welche dem Papste gegenüber jenen obliegt, welche der Kirche einst angehörten, dann aber von ihr abfielen und ihr nunmehr den Krieg geschworen haben. Denn wie diejenigen, welche der Kirche nie einverleibt waren, zum Glauben nicht gezwungen werden dürfen, sondern mit anderen Mitteln angelockt werden müssen, so müssen alle, welche dem Glauben abtrünnig wurden und bewaffneten Widerstand leisten, mit Waffengewalt überwältigt werden, da die heiligen Kanones, die der Ausfluß des Heiligen Geistes sind, ausdrücklich gebieten, Ketzer entweder mit aller Gewalt zur Kirche zurückzuführen oder auszurotten. Das ist des Papstes heiligste Pflicht; bringt er das nicht fertig, so hat er überhaupt nichts fertig gebracht. Als eine

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