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FLORENTINISCHE ENTTÄUSCHUNG

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gar nicht wert, in Schutz, indem er auf die triftigen Gründe hinwies57, welche sie für ihre Politik anführen könnten, namentlich aber auf ihre Beteuerung, wenn sie erst Pisa und ihre anderen festen Plätze wieder in Händen hätten — und das werde in allernächster Zeit schon der Fall sein dann werde man sich in Venedig von der Aufrichtigkeit ihrer italienischen Überzeugung erst recht überzeugen. Allein auch die so zuversichtliche Hoffnung, welche die Florentiner auf ihre französischen Freunde in Sache der Rückgabe Pisas und der Festen setzten, trog schmählich. Der französische Befehlshaber ließ sich von den Pisanern bestechen und lieferte die Burg von Pisa statt den Florentinern den Pisanern aus, Sarzana aber an Genua. Diese Nachricht rief in Florenz unter der Bürgerschaft, wie Delfin einem Freunde mitteilte, solche Trauer hervor, daß sich bei ihrem Anblick ein Stein hätte erweichen mögen. Die einen stierten finster in den Boden, die anderen hüllten sich in dumpfes Schweigen, während wieder andere in verzweifelte Schmerzensrufe ausbrachen. Das rechte Auge, jammerten sie, sei ihnen ausgerissen und ein guter Teil ihres Staates durch den Trug der Franzosen, ihrer falschen und habgierigen Freunde, verlorengegangen. Jetzt, fügte Delfin triumphierend bei, sehen sie ein, um wieviel besser sie daran getan hätten, die ihnen von mir unterbreiteten Vorschläge anzunehmen; sie müssen ihren Unverstand nunmehr teuer genug bezahlen. „Aber wenn die Kuh aus dem Stalle ist, dann ist es zu spät, die Türe zu schließen." Delfin verkannte, wie so oft, die Lage gründlich. Zu seiner größten Verwunderung mußte er schon sehr bald entdecken, daß die Florentiner, seine eigenen Parteifreunde, die Arrabbiaten, nicht ausgenommen, gerade mit Rücksicht auf die Hinterhältigkeit der Ligisten im allgemeinen und der Venezianer im besonderen nicht daran dachten, Frankreich zu verlassen, wenn sie auch, um diese nicht offen vor den Kopf zu stoßen, die Schuld auf den Frate schoben.,,Obschon sie", meldete der General seinem Onkel",,,mitten in Italien allein und aller Hilfe bar dastehen, so setzen sie doch immer noch ein größeres Vertrauen auf die fernen Franzosen als auf die Mächte ihrer Nachbarschaft, auf den Rat des Frate Hieronymus hin, wie es allgemein heißt, welcher ihnen immer wieder neuen Mut einflößt." Einen, wenn auch nicht ganz gleichwertigen, so doch willkommenen Ersatz für Florenz bot England, welches am

18. Juli 1496 seinen Beitritt zur Liga unterzeichnete. Delfin begrüßte ihn freudig. „Die Engländer", schrieb er wieder an seinen Onkel",,,sind nach der Auslegung Gregors d. Gr. Engel, von diesen aber heißt es: ‚Der Herr wird seine Engel aussenden, und sie werden aus seinem Reiche alle Ärgernisse sammeln (Matth. 13, 41). Ihrer wird er sich, wenn nötig, bedienen, um die Ärgernisse der Franzosen zu beseitigen, und dann wird sich jedes Land des Friedens und der Ruhe erfreuen." Aber auch an einer schließlichen Verständigung mit den Florentinern zweifelte der General um so weniger, als er einerseits doch auch in Venedig einsichtige Männer kannte, welche einer Rückgabe Pisas an Florenz das Wort redeten, andererseits aber in der Anlehnung der neuen florentinischen Verfassung an die venezianische einen Beweis aufrichtiger Zuneigung der Florentiner für Venedig erblickte.,,Die Florentiner", so teilte er einem Freunde mit", ,,scheinen gegenwärtig jene göttliche und himmlische Regierungsform (der Venezianer) nachahmen zu wollen, und es sind nicht etwa nur einige angesehene, mit dem venezianischen Staatswesen vertraute Bürger, welche ihnen dies angelegentlich empfehlen“, sondern denselben Rat erteilt ihnen auch ein hochgeschätzter Kanzelredner in seinen Predigten." Um ihres venezianischen Einschlages willen fand sich Delfin auch mit der ihm an sich nicht sehr sympathischen florentinischen Volksherrschaft ab; wenn sie sich zu behaupten vermöge, äußerte er sich, so dürfe sie als gut erachtet werden, jedenfalls aber sei sie das geringere Übel im Vergleich zu jener,ganz üblen und durch und durch schlechten tyrannischen". Nicht wenig geschmeichelt fühlte er sich, wenn er aus dem Munde seiner florentinischen Freunde das schallende Lob seiner Landsleute vernahm, ihrer strengen Gerechtigkeitspflege und Bündnistreue, welcher sie ihre gewaltigen Eroberungen zu danken hätten. Die Venezianer allein seien den alten Römern vergleichbar, von welchen es 1. Mach. 8,1 heiße, daß sie stark an Kräften waren und alles gewährten, worum man sie bat, nämlich ihren Verbündeten die Herrschaft, während sie ihre Feinde dem Untergang weihten. Wohl fehle es in Florenz nicht an Neidern, welche eine weitere Ausdehnung der venezianischen Macht mit scheelen Augen betrachteten. Die vernünftig und vorurteilslos Denkenden jedoch freuten sich hierüber und gönnten dem venezianischen Löwen die Monarchie über

NEUE VERGEBLICHE UNTERHANDLUNGEN

213 Italien, vom Wunsche beseelt, im Schatten seiner Flügel zu wohnen, und in der Erkenntnis, daß er seine Vormacht nicht seiner Herrschsucht, sondern der Gerechtigkeit seiner Sache zu danken habe"".

Es hat etwas Tragisches an sich, wenn Delfin ganz im Einklange mit seinen Landsleuten in einem Augenblicke von einer Vorherrschaft der Lagunenstadt über ganz Italien träumte, da die Totengräber ihrer Größe schon vor der Türe standen. Nicht wenig täuschte er sich wiederum, wenn er den Florentinern Freude an venezianischer Machterweiterung zutraute, welche nachgerade den Haß und die Eifersucht nicht nur der italienischen Staaten, sondern auch des Auslandes herausforderte". Politischen Scharfsinnes durfte sich Delfin somit keinesfalls rühmen; er hatte aber bei seinen politischen Geschäften auch kein ganz reines Gewissen. Von seinem Onkel Peter Delfin um Nachrichten über den pisanischen Krieg gebeten, erklärte er unter Berufung auf Paulus (2. Tim. 2, 4), kein Streiter Christi dürfe sich in weltliche Händel verwickeln oder in politische Dinge einmischen, die voller Gefahr für das Seelenheil seien, gab dann aber die gewünschte Auskunft doch". Noch weniger glaubte er sich dem Willen der venezianischen Regierung, die seine politischen Dienste heischte, entziehen zu dürfen; immer wieder ließ er sich zum Zwischenhändler und Auskunftsmann herbei. Als er im April 1497 in seiner Vaterstadt weilte, erstattete er dem Dogen über die florentinischen Verhältnisse, über die herrschende Hungersnot, Pest und Uneinigkeit ausführlichen Bericht". Auf beiderseitiges Verlangen der Florentiner und Venezianer machte er im August 1498 während seines Aufenthaltes in S. Michael neuerdings den politischen Unterhändler, erzielte aber diesmal sowenig einen Erfolg wie früher; mißmutig verschwor er es, sich jemals wieder mit solchen Dingen abzugeben, es sei denn, er verfalle in Irrsinn". Daß er die kriegerischen Verwicklungen seiner Heimat mit Julius II. aufs tiefste beklagte, verstand sich von selbst, wie es sich auch von selbst verstand, daß er seine Landsleute gegen die Beschuldigung entschieden in Schutz nahm, sie hätten mit ihrer unersättlichen Ländergier all die gegenwärtigen und früheren Übel auf dem Gewissen; mehr als bei den Haaren herbeigezogene Bibelsprüche wußte er jedoch zu ihrer Verteidigung nicht anzuführen". Daß er, der sich ehedem über die

,,tyrannische, grundschlechte" Herrschaft der Medici so sehr entrüstet hatte, die Rückkehr dieser Familie im August 1512 freudig begrüßte, kann bei ihm nicht befremden; immerhin empfahl er dem Kardinale Nachsicht und Schonung gegenüber den Feinden seines Hauses". Aber zu politischen Geschäften wurde er nicht mehr herangezogen. Seit August 1498 hatte er seine politische Rolle ausgespielt; er hatte keine Lorbeeren geerntet. Man war nicht zufrieden mit ihm in Venedig", namentlich wurde ihm, wie wir uns erinnern, sein Verhalten im Winter 1498 beim ligistischen Kriege im Casentino verübelt. So kam es auch wohl, daß er bei wiederholter Erledigung des Patriarchats zwar unter den Anwärtern aufgeführt", aber niemals ernstlich ins Auge gefaßt, geschweige mit dieser Würde ausgezeichnet wurde.

VI. DIE KIRCHENREFORM

A. DELFIN.

Eine ergreifende, unermeßliche Reformsehnsucht durchdrang in den Jahrzehnten Peter Delfins alle Gemüter. Hoch und nieder, Laien und Geistliche, kirchliche Würdenträger aller Rangstufen und Ordensleute aller Geschlechter, Regeln und Länder waren in dem einen, unaufhörlich mit erschütternder Eindringlichkeit geäußerten, inbrünstigen Verlangen einig, es möchte endlich, endlich der gottgesandte Retter erscheinen, da es so wie bisher nicht fortgehen könne und dürfe, solle nicht der Verheißung des Erlösers zum Trotze das Schifflein seiner Kirche dennoch im wütenden Sturme zerschellen. Der Einsicht in die unaufschiebbare Notwendigkeit einer gründlichen Besserung an Haupt und Gliedern vermochte sich auch Delfin nicht zu entziehen. Je näher man Rom sei, schrieb er dem Bischofe Barozzi', um so mehr sehe und höre man, was zum Ärgernisse gereiche und das Elend der Zeit bilde; sich eingehender darüber auszusprechen, wagte er jedoch nicht, auf daß es nicht den Anschein erwecke, als richte er seinen Mund gegen den Himmel (Ps. 72, 9). Mit dem Kardinale Piccolomini seufzte er über den Verfall seiner Zeit❜. Je höher der Rang sei, welchen der Protektor bekleide, desto besser könne er sich von der allgemeinen Verkommenheit überzeugen, welche die Schuld am gegenwärtigen Unglücke trage. Alles sei in Wollust verstrickt und habe nur mehr Sinn für leibliche Genüsse, schätze aber die Güter der Seele gering, wandle in der Finsternis und im Tode, obliege dem Raube, dem Betruge, der Hinterlist und allen Greueln, den wilden Tieren gleich aller Religion, aller Treue, aller Barmherzigkeit bar. Der Teufel scheine in die Ordensleute und Priester gefahren zu sein, klagte der General ein andermal3, so daß sie, die ein gutes Beispiel zur Erbauung der Gläubigen geben sollten, im Gegenteile nur Ärgernis

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