die alle in tadellosem Zustande auf uns kamen, war er dazu wie geboren, für die späteren Jahrhunderte ein Berichterstatter ersten Ranges, eine unerschöpfliche Fundgrube und Quelle wertvoller Nachrichten über die führenden kirchlichen Persönlichkeiten und wichtigsten Geschehnisse jener verhängnisvollen Zeit vom Schlage seines Landsmannes und Verehrers Marino Sanuto zu werden. Nehmen wir nun die Druckausgabe seiner Briefe vom Jahre 1524 und ihre Ergänzung durch die Mauriner zur Hand - welche Enttäuschung! Von allgemeinen kirchen- und weltgeschichtlichen Begebenheiten erfahren wir aus ihnen, etwa den Eroberungszug des französischen Königs Karl VIII. und das tragische Geschick Savonarolas ausgenommen, äußerst wenig. Ordens- und Klosterhändel auf Schritt und Tritt, das ist alles! Fast eintausendundfünfhundert Briefe von ihm liegen gedruckt vor uns und doch wäre der Forscher übel beraten, der sich verleiten ließe, auf ihnen auch nur die Lebensgeschichte Delfins selbst oder seines Ordens aufzubauen; überall würde er Lücken entdecken, die wichtigsten Urkunden vermissen und ein ganz falsches und einseitiges Bild vom Gange der Dinge gewinnen. Wie sehr ginge, um nur ein Beispiel zu nennen, der in die Irre, der sich in der Frage seiner Absetzung auf seine durch und durch cum ira et studio geschriebene Darstellung in den großen Briefen an Jakob von Brescia und Euseb Prioli verlassen wollte, ohne auch die ungedruckten Schreiben beizuziehen, welche uns eine Nachprüfung und Berichtigung jener leidenschaftlichen Darstellung ermöglichen. In der Tat ergänzen die zweitausendundfünfhundert Briefe, welche in den dicken Bänden von Florenz und Venedig schlummern, allenthalben die fehlenden Glieder des Druckes und stellen die festgeschlossene Kette der Geschichte des Generalats Delfins und des Ordens seiner Zeit her. Die Ausbeute aber, welche sie darüber hinaus über die zeitgeschichtlichen Ereignisse gewähren, ist so dürftig wie möglich. Wohl versichern die Mauriner28, Delfin berühre in seinen Briefen verschiedenes über die Päpste seiner Zeit, was sich sonst nirgends finde; sie hüten sich aber, Belege zu erbringen, und schränken ihre Behauptung sofort auf die ganz richtige Angabe ein, er handle hauptsächlich von den Angelegenheiten seines Ordens. Wer etwa hofft, über die dunklen Vorgänge im Leben der Borja, über das Vorleben Alexanders VI., über die Ermordung des Herzogs von GESCHICHTLICHER WERT DER BRIEFE Gandia, über die Schandtaten Cesares, über die Giftmorde des Vaters und seines ihm ebenbürtigen Sohnes, über das verhängnisvolle Gastmahl beim Kardinale Hadrian und den Tod des Papstes", über die politische Tätigkeit oder über die künstlerische Liebhaberei Julius' II., über den Musenhof des Medicipapstes, über die unverwelklichen Schöpfungen der großen Meister der Zeit näheres zu erfahren, der kommt nicht auf seine Rechnung: einige Andeutungen, einige allgemeine Wendungen, einige längst bekannte Dinge, wie den Einzug des jungen Kardinals Medici in Florenz und Rom 1492 oder knappe Mitteilung über die Papstwahl 1492 das ist alles. Es konnte auf so viel Papier nicht leicht weniger sein. Unter die Geschichtschreiber ist Peter Delfin nicht einzureihen; nicht zu berichten war seine Absicht, sondern sich auszuschweigen. 197 Das hing nun aber mit der Art seiner schriftstellerischen Tätigkeit aufs engste zusammen. Er schrieb fast nur Briefe. Briefe waren aber bei der damaligen allgemeinen Verkehrsunsicherheit leicht der Gefahr ausgesetzt, in unrechte Hände zu geraten. Wie auch der florentinische Gesandte Philipp Valori aus Rom an die Signorie schrieb, die näheren Einzelheiten der schändlichen Wahl des Borjapapstes ließen sich dem Briefe nicht anvertrauen, sondern nur mündlich mitteilen, so stoßen wir in den Briefen Delfins wiederholt auf die Bemerkung: Das kann man nicht schreiben, sondern nur mündlich berichten31. Sich nun gar über die römischen Greuel (flagitia) in Schriftstücken auszulassen, aus welchen sich, wenn sie etwa unterwegs von Gegnern geraubt wurden, ein Strick für den Verfasser drehen ließ welche Unvorsichtigkeit Nach all dem wird es nicht wundernehmen, 2! wenn die Briefe Delfins, und zwar die gedruckten immer nur im Zusammenhalte mit den ungedruckten, allerdings für die Geschichte Delfins, des Ordens, der einzelnen Ordenshäuser und Ordensglieder eine unversiegliche Quelle bilden, für die Zeitgeschichte aber nur von geringer Bedeutung sind. Es hatte daher seinen sehr guten Grund, wenn die Annalisten des Ordens ihr Vorhaben, auch die ungedruckten Briefe herauszugeben, nicht zur Ausführung brachten. Sie machten zwar von ihnen pflichtgemäß reichen Gebrauch, hielten damit aber ihren Zweck schließlich für erschöpft, zumal da sie keinen Grund hatten, die heiklen Dinge, welche Delfin wohlbedacht der Vergessenheit überant wortet hatte, nachträglich ans Tageslicht zu zerren, und schon bei Benützung des Reisebuches Traversaris all das geflissentlich unterdrückt hatten, was dem Orden, sei es durch die Ungunst der Zeit, sei es durch die Schwäche der Menschen, zum Schimpfe erwachsen konnte". So erklärt es sich endlich, daß die Briefe Delfins in der späteren Geschichtschreibung eine sehr bescheidene Rolle spielten. Nur von wenigen Historikern wurden sie zu Rate gezogen, und auch ihnen boten sie nur geringfügige Ausbeute. V. DELFIN UND DIE POLITIK Zu allen Zeiten hingen die Italiener mit feuriger Liebe an ihrer Heimat, ganz besonders aber glühten die Venezianer für die stolze Königin der Meere. Delfin war Venezianer durch und durch; sein Venedig ging ihm über alles, vom venezianischen Standpunkte aus war er die Personen und Dinge, die in sein Gesichtsfeld traten, anzusehen gewohnt. Für seine Vaterstadt war ihm kein Opfer zu schwer, für sie war er namentlich in den verderbenschwangeren Zeiten des französischen Zuges unter Karl VIII. unermüdlich tätig. Venedig war an diesem Zuge nicht so ganz unschuldig, wie es sich nachher hinzustellen beliebte. Wieder und wieder hatte es mit dem Gedanken eines französischen Einmarsches in Italien gespielt, schon 1484 hatte es die Begehrlichkeit des jungen Königs durch offene Anerkennung seiner sehr zweifelhaften Ansprüche auf den Thron von Neapel geweckt und bestärkt. Als es dann schließlich Ernst wurde und die französischen Truppen, durch Freiwillige aus der Schweiz, Deutschland und anderen Ländern vermehrt, über die Alpen stampften, da lähmte schlotternde Angst in Italien alle Gemüter. Dazu kam, daß in Rom und an anderen Orten die Pest wütete und das blasse Gespenst einer Hungersnot umging. Wie eine dumpfe Gewitterschwüle lag es dem Zeugnisse Delfins gemäß auf allen Seelen. Im Bewußtsein drückender Sündenlast ahnte man allgemein den Anbruch furchtbarer Ereignisse, die unheimliche Nähe der strafenden Hand Gottes2. Delfin selbst wurde von allen, die ihn besuchten, angefleht, ohne Unterlaß nicht nur für Florenz, sondern für ganz Italien zu beten; die Nachricht, Karl VIII. rücke mit einem furchtbaren Heere von einhunderttausend Mann an, verbreitete allenthalben wahres Entsetzen. Er lernte freilich auch sehr viele Leute kennen, welche der Ankunft des Königs mit heißer Sehnsucht entgegensahen, da sie sich von ihr einen Umsturz aller bestehenden Verhältnisse versprachen, aus welchem sie Gewinn zu ziehen hofften. Ebensowenig vermochte er sich der von vielen geäußerten Weissagung und Meinung zu verschließen, nicht aus bloßer Gier nach Gold und Silber, sondern auf göttliche Fügung nahe das französische Heer, und nicht zum Untergange, sondern zur Auferstehung vieler werde seine Ankunft gereichen. Sei doch nicht anzunehmen, daß sich der König, der zu Hause das behaglichste Leben führen könnte, in einen so gefährlichen Krieg stürzte und einen so beschwerlichen Marsch über reißende Ströme, hohe Berge und eisige Schneefelder anträte, wenn er nicht einer höheren Weisung gehorchte. Und war nicht zu befürchten, daß am Ende einer der streitenden Teile gar die Türken ins Land rufe, so daß die letzten Dinge schlimmer würden als die ersten'? Die Venezianer hätten sich dem französischen Abenteuer mit einem gebieterischen: Halt! in den Weg stellen können; aller Augen waren erwartungsvoll und hilfeheischend auf sie gerichtet. Sie aber,,standen mit weitgeöffneten Augen und einer Menge von Leuten abseits"" und rührten keine Hand, was ihnen, wie Delfin selbst bemerkte', vielfach unwilligen Tadel, aber auch den Ruhm besonderer Klugheit eintrug. Um so leidenschaftlichere Aufregung herrschte in Florenz, das sich durch Karl VIII. unmittelbar aufs schwerste gefährdet sah. Karl zürnte mit gutem Grunde; denn die Blumenstadt, ehedem stets Frankreichs treueste Freundin, hatte unter der Führung Peter Medicis wider den Stachel zu löcken gewagt und dem Könige die wiederholt erbetene Unterstützung versagt. Als dann das Unglaubliche zur bitteren Wahrheit geworden war und das feindliche Heer näher und näher rückte, da machte der Sohn Lorenzos aus der Not eine Tugend und schloß mit Karl um den hohen Preis der wichtigsten florentinischen Festen - Sarzana, Sarzanello, Librafatta, Pietrasanta, der Zitadelle von Pisa und des Hafens von Livorno - Frieden und Freundschaft". Auf die Kunde hiervon bemächtigte sich in Florenz, wie Delfin mitteilt, lähmendes Entsetzen aller Gemüter. Eine unbeschreibliche Erbitterung gegen Peter machte sich Luft, Beschimpfungen und Verwünschungen gröblichster Art wurden überall ungescheut gegen ihn geäußert. Aus Furcht vor feindlicher Plünderung brachte man alles, was man an wertvollem Hausrat besaß, in Klöstern unter, wo man auch die Mädchen barg, es war, schreibt Delfin1o, der solche Befürchtungen für unbegründet hielt, als stehe der Stadt die Eroberung durch Barbaren in Aussicht. Am 8. November aus dem französischen Lager nach Florenz zurückgekehrt, traf Peter |