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Deutsche Theologie

herausgegeben

von

Dr. Liebner in Dresden, Dr. Dorner in Berlin,
Dr. Ehrenfeuchter und Dr. Wagenmann in Göttingen,
Dr. Landerer, Dr. Palmer und Dr. Weizsäcker in Tübingen.

Fünfzehnter Band. Erstes Heft.

DIVINITY SCHOOL

LIBRARY.

HARVARD UNIVERSITY

Gotha.

Verlag von Rud. Besser.

1870.

Weber Objectivität der Exegese.

Gedanken und Bemerkungen.

von

Dr. Palmer.

Mit der Aufstellung seines formalen Princips hat der Protestantismus sich gegen zwei Seiten hin vor Fälschung der evangelischen Wahrheit gesichert, gegen die Tradition und gegen das lumen internum, womit die Schwärmer das Schriftwort ergänzen wollten; zur Abwehr dieser beiden Gegensäße, einer falschen Objectivität und einer falschen Subjectivität, war jenes Princip in der That das einzig wirksame, von den Reformatoren selbst vortrefflich gehandhabte Mittel. Aber die Beschaffenheit der heiligen Schrift, wie sie vorliegt, d. H. die uns fremde, weit entlegenen Zeiten und Räumen angehörige Sprache, Ausdrucks- und Anschauungsweise, die bis zur Dunkelheit gehende Tiefe mancher Theile ihres Inhalts, endlich die jedem schärferen Auge sich aufdringenden mannigfachen Differenzen innerhalb des Büchercomplexes, der doch als absolute, göttlich geordnete Einheit vorausgesetzt wird, das alles macht erst eine Auslegung nothwendig, damit die Schrift als Quelle und Norm aller Glaubenserkenntniß dienen kann; und wenn es sich nun um die authentische Interpretation handelt, so drängen sich jene beiden schon ausgeschlossenen Helfer, Tradition und inneres Licht, heran mit der Behauptung, daß ohne sie die Schrift gar nicht richtig verstanden werde. Aber auch an diesem Punct hat sich der Protestantismus ihrer erwehrt durch seinen Saß von der perspicuitas et semet ipsam interpretandi facultas, welche der Schrift inwohne. Wenn sie also vollkommen klar ist und sich selbst genugsam auslegt, so bedarf der Exeget offen

bar für sein Geschäft nur derselben einfachen Mittel, die zum Verständniß eines jeden in fremder Sprache geschriebenen Buches nothwendig sind; unsere alten Dogmatiker (z. B. Hollaz) haben als solche angegeben: 1) die notitia idiomatis, quo sacra scriptura legitur, 2) attenta consideratio phrasium, scopi, antecedentium et consequentium, wozu nur noch die Kenntniß der Zeiten und Zeitverhältnisse zu rechnen ist, aus welchen heraus die Schriftsteller reden und welchen das von ihnen Berichtete ursprünglich angehört. Ist dies im Wesentlichen nichts Anderes, als was man die grammatisch-historische Auslegung nennt, so wird das Wesen und die Reinheit derselben nicht alterirt, wenn jene Theologen auch noch hinzufügen, es sei nöthig depulsio praeconceptarum opinionum et pravorum affectuum, denn dieses sittliche Requisit gilt ebenso jeder Forschung auf irgend einem Wahrheitsgebiet; und selbst die noch außerdem geforderte invocatio dei, patris luminum, ist etwas, was keineswegs blos zur Schriftauslegung erheischt wird, was der Philolog, der Historiker, der Naturforscher, der Mathematiker, wofern er persönlich ein frommer Mensch ist und im lebendigen Gott die Quelle aller Wahrheit und alle Wahrheitserkenntniß als Gabe Gottes verehrt, ganz ebenso thun kann und soll. Und so müssen wir als echt protestantisches Auslegungsprincip dieses erkennen, daß die Schrift rein objectiv behandelt wird, daß ohne alle andere Voraussetzung, als die zu jedem Schriftwerke hinzuzubringen ist, lediglich ermittelt wird, was sie sagt; alle die Vorzüge, die wir der Schrift als heiliger Schrift, als Wort Gottes beilegen, dürfen bei streng wissenschaftlichem Verfahren nicht Voraussetzung sein, sondern nur Resultat; soll sie wirklich als das Erste, als Quelle und Norm gelten, so darf ich sie mit ihrem Inhalt nicht von etwas Anderem, gleichsam noch Ersterem, d. h. irgend einem dogmatischen Satz, abhängig machen, sondern alle dogmatischen Säße, auch die, welche etwas aussagen über die Dignität der Schrift selber, dürfen erst aus ihr hervorgehen, müssen also, um gültig zu sein, erst aus ihr selbst abgeleitet werden. So allein macht man Ernst mit dem formalen Princip der protestantischen Lehre; thut man es nicht, so ist das nicht blos ein wissenschaftlicher Defect, sondern der eisernen Consequenz des Katholicismus gegenüber gibt sich der Protestantismus durch Inconsequenz immer die gefährlichste Blöße.

Aber sobald nun der Satz in dieser Strenge aufgestellt, sobald er vollends praktisch angewendet wird, erhebt sich Widerspruch. Die Tradition ist als eine unberechtigte Autorität grundsäglich abgewiesen

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